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Mehr Sicherheit dank Kameras

Abgelegt unter Satire
Mittwoch, 6. Juni 2007

Dank eines Freundes, der mich in seine Kristallkugel schauen ließ, sah ich eine nicht allzu ferne Zukunft. Das Jahr 2010, die CDU regiert ohne SPD und Schäuble konnte seine zahlreichen Sicherheitskonzepte durchsetzen. Ich sah auch mich auf meinem Weg zur Arbeit. Es war erschreckend, wie nachfolgender Bericht zeigt.„Guten Morgen, Bürger. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. Bitte binden Sie ihren linken Schuh, damit Sie nicht über den Schnürsenkel stolpern.“

Überrascht schaute ich mich um. Wer hatte da gesprochen? Wer hatte mich auf meinen Schnürsenkel aufmerksam gemacht?

Niemand hinter mir, neben mir, vor mir. Und doch ...

Hatte mich eine Halluzination befallen? Oder war es am Ende Gottes Stimme, die mich auf meinen Schnürsenkel hinwies? Ein Schutzengel vielleicht?

Doch nein – gerade als ich per Handy einen Termin bei einem Psychiater meines Vertrauens vereinbaren wollte (Herr Doktor, ich höre Stimmen), sah ich ... sie!.

Oben auf einem Laternenmast hockte sie. Silbern glitzerte ihr Gehäuse in der Morgensonne, das leise Summen des Zooms wirkte beruhigend auf mich.

Eine Kamera. Oder genauer – eine Überwachungskamera. Darunter, unscheinbar und schwarz, befand sich ein Lautsprecher. Von dort war also die Stimme erklungen.

„Danke für den Hinweis“, rief ich dem Kasten zu. „Aber ich lasse meinen Schuh gerne offen.“ Damit war die Sache für mich erledigt und ich wandte mich ab.

Doch der Mann hinter der Kamera schien das anders zu sehen. „Bürger, Ihr Schnürsenkel ist offen. Binden Sie ihn bitte!“

„Nein“, rief ich und ging weiter. Aber schon nach wenigen Metern und nur eine Kamera weiter erreichte mich die nun deutlich autoritäre Stimme. „Wenn Sie über den Schnürsenkel stolpern, können Sie stürzen. Dann schlagen Sie sich womöglich den Kopf an, fallen in ein Koma und werden auf viele Monate künstlich ernährt werden müssen. Ihre Glieder werden steif, ihr Hirn schrumpft. Wer wird all das bezahlen müssen? Die Bürger, die ihre Schnürsenkel schließen. Wollen Sie das? Wollen Sie schuld sein, dass Ihre Kollegen demnächst mehr Versicherungsbeiträge zahlen müssen?“

„Ich passe auf“, rief ich zurück und ging weiter.

Wieder kam ich nur eine Kamera weit. „Binden Sie sich die Schuhe, sie renitenter, linksextremer Spinner. Und damit Sie es wissen – wir haben Sie bei der letzten Wahl beobachtet. Sie haben die Linkspartei gewählt. Wir kennen Sie. Wir wissen, wie Sie denken und wir wissen, wo Sie wohnen. Los, Schuhe binden, Sie Terrorist.“

Eingeschüchtert sank ich in die Hocke und band meine Schuhe. Was, wenn sie meine Familie besuchten oder meine Katze vergifteten? Abgesehen davon hatte der Mann ja recht. Das Risiko, durch mein Fehlverhalten ins Koma zu fallen und der Krankenkasse ungeheure Summen aufzubürden war enorm hoch. Täglich las man in der Zeitung von solchen Fällen. Unschuldige Fußgänger landeten regelmäßig auf der Intensivstation. „Danke für den Hinweis“, murmelte ich leise und zog zur Sicherheit auch meinen anderen Bändel fest. Ich liebe meine Familie.

Derart belehrt und einsichtig setzte ich meinen Weg fort. Diesmal gelang es mir, drei Kameras zu passieren, ohne dass sich die Stimme erneut meldete. Aber dann, als ich mich schon auf der sicheren Seite wähnte, erklang ein Räuspern über mir.

„Sie gehen zu schnell. Das erhöht das Risiko, dass sie andere Fußgänger anrempeln, diese stürzen und sich den Kopf anschlagen. Nicht auszudenken, wenn eine arme, alte Frau wegen Ihnen ins Koma fällt.“

„Wenn ich langsamer gehe, verpasse ich meinen Bus“, gab ich kleinlaut zurück. Wieder hatte die Stimme recht. Mein Benehmen an diesem Morgen war unverzeihlich. Nun, mein Verhalten derart vor Augen geführt wurde mir klar, dass es sich bei mir um ein wandelndes Sicherheitsrisiko für die Stadt handelte.

„Und? Gehen Sie langsamer! Busse fahren viele.“

„Jawohl.“ Mit gesenktem Haupt schlich ich die Straße entlang und sah in gut 30 Metern Entfernung den Bus davon fahren. Aber was machte das schon, wenn ich dadurch niemanden gefährdete.

Seufzend sank ich auf die Bank und war mir sicher, nun keine Fehler mehr begehen zu können. Aber da hatte ich mich geirrt. Denn kaum hielt ich meinen Roman in der Hand, den ich auf dem Weg zur Arbeit zu lesen gedachte, räusperte sich die Stimme. Auch die Bushaltestelle war videoüberwacht.

„Sie sollten nicht solch einen Mist lesen, Bürger. Wühlen Sie mal links im Eimer. Dort finden Sie Wahlwerbung der CDU. Sie haben den Bus verpasst, also nutzen Sie die Zeit sinnvoll.“

„Ich hätte den Bus nicht verpasst, wäre ich schneller gegangen“, begehrte ich in einem Anfall wilden Rebellentums auf.

„Quatsch. Sie hätten den Bus nicht verpasst, hätten Sie heute Morgen nicht Ihre Frau gefickt. Darum waren Sie zu spät. Und jetzt holen Sie die Wahlwerbung aus dem Müll und lesen Sie mir vor, was dort steht.“

„Hey. In meiner Wohnung sind keine Kameras.“

„Nein. Aber jene vor dem Fenster kann um 360 Grad geschwenkt werden. Los, wühlen Sie im Bürger, Müll. Nein, wühlen Sie im Müll, Bürger.“

Folgsam tauchte ich ab in die Tiefen des Abfalls. Schließlich hielt ich eine Broschüre der CDU in der Hand. „Mehr Sicherheit und Bürgernähe dank Kameras in den Städten – eine Erfolgsgeschichte“, las ich. Im Inneren klärte mich das Pamphlet auf, dass bei den nächsten Wahlen eine absolute Mehrheit der CDU angestrebt würde. Mindestens 90 Prozent der Wähler würden sich als dankbar erweisen und schwarz wählen. Schließlich habe Schäuble die Sicherheit enorm erhöht, und das wüssten die Bürger zu würdigen.

„90 Prozent?“ , rief ich aus. „Das ist lächerlich!“

„Nein! Wir wissen, wo jeder Bürger wohnt, und wir sehen, was er wählt. Wir halten 90 Prozent für realistisch.“

Um ehrlich zu sein – ich auch.

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