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Und die Zunge litt leise

Abgelegt unter Satire
Mittwoch, 20. April 2016

Hinweis: Wer die Satire auf seinem Smartphone, Tablet oder eReader lesen möchte, findet sie hier als kostenlosen Download für Kindle und ePub-Geräte.

***

Es war ein besonderer Tag, jener 19. April 2016. Ein Tag, wie er nur einmal im Jahr vorkommt!

Hochzeitstag!
Der 14.
Elfenbein-Hochzeit!

Und jener 19. April 2016 war der Tag, als ich meine Zunge auf ewig ruinierte.
Das kam so …

»Lass uns auswärts essen!«, sprach mein geliebtes Schnüffchen, als wir unseren Ehrentag planten. Nun muss ich vorausschicken, dass ich nach vielen Jahren in der Ferne kurz zuvor in die Heimat zurückkehrte. Warum, wieso und weshalb soll nicht Gegenstand dieses Berichts sein, doch vor meinem Weggang galt in Familienkreisen ein ehernes Gesetz: Willst du gut und stilvoll speisen, suche die Amalienlust auf!
Und so kam es, dass ich nicht lange nachzudenken brauchte, kaum dass mein Schnüffchen besagten Vorschlag unterbreitete. Zwar hatte seither der Pächter gewechselt, wie ich aus gut unterrichteter Quelle – danke, Mutter! – erfuhr, aber wir waren frohen Mutes. Zu gut waren mir die köstlichen Speisen und vor allem das freundliche Personal in Erinnerung. Es bedarf viel, um über Jahre gewachsene Erinnerungen zu zerstören.
Andererseits bedarf es einer Menge, um eine angeborene Zunge zu ruinieren – und beides gelang der Inhaberin mühelos. Aber ich will nicht vorgreifen …

Ein gepflegtes Restaurant mit gewohnter Raumaufteilung erwartete uns nach dem Betreten. Der in bunter Farbe ausgedruckte Hinweis auf den Pizza-Donnerstag über dem Tresen wirkt nicht gerade stilvoll, aber er verleitete uns dazu, Pläne für künftige Besuche zu schmieden.
Die Pläne hielten während des Knoblauch-Toasts und auch während eines italienischen Salates an; die Zutaten knackig, das Dressing würzig und lecker.

Doch dann kam der Hauptgang!
Während sich mein Schnüffchen für eine allseits beliebte Vier Jahreszeiten entschieden hatte, sollten es bei mir Nudeln mit Steinpilzen sein.
Und sie sahen überaus verführerisch aus, die goldgelben Nudeln, die Pilze, die Soße … Leider kann ich über den Geschmack wenig sagen, denn kaum hatte ich einen ersten Bissen genommen, verdampfte die unerwartete Schärfe des Gerichts jede einzelne Geschmacksknospe auf meiner Zunge.
Wer jemals Szenen einer Atomwaffen-Explosion gesehen hat – Sie wissen schon, die sich biegenden Bäume, das Feuer, die Stürme … – der weiß, wie es just in diesem Moment auf meiner Zunge zuging. Es blieben keine Leichen meiner Geschmacksknospen übrig, keine Knochen oder Zähne, sondern lediglich Abdrücke; in die Zunge gebrannte Schatten jener, die während dieses ersten Bissens ihr Leben aushauchten. Meine Zunge, sie ist nun ein Ground Zero der ersten Steinpilz-Pasta-Schärfen-Detonation der Geschichte.

Stumm rannen die Tränen über meine Wangen, mein Puls beschleunigte sich und ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Nachdem ich mein Getränk und auch das meiner Frau in meinen Mund gegossen hatte, versuchte ich mein Glück mit dem Blumenwasser, aber auch dieses verdampfte zischend.
Mein geliebtes Weib, eine Scharf-Esserin erster Güte, wagte sich an die Pasta, und nur der Anstand verbot mir, Bilder ihrer hervorquellenden Augäpfel aufzunehmen.

Die eilends herbeigerufene Inhaberin der Amalienlust zeigte sich indes erstaunt über meine genuschelte und mit qualmender Zunge vorgetragene Beschwerde. Schließlich sei das Gericht laut Karte ein scharfes Gericht.

Hatte ich besagten Hinweis tatsächlich übersehen?
War ich Schuld an diesem Geschmacksknospen-Massenmord?

Zum Beweis wurde mir die Karte vorgelegt. Doch siehe – einen entsprechenden Hinweis konnte ich nicht finden!
Wie groß meine Bildungslücke im Bezug auf kulinarsiche Eigenheiten jedoch ist, wurde mir umgehend seitens besagter Inhaberin vor Augen geführt. Schließlich waren die Zutaten des Gerichts aufgeführt, und dort, am Ende der Aufzählung, fanden sich „Peperoncinos“. Und diese, so wurde ich ein wenig harsch aufgeklärt, seien nun einmal scharf.

Ich Dummerchen!
Wie konnte ich das nicht wissen?
Es war also tatsächlich meine Schuld.
Was erwarte ich Tölpel auch, dass ein scharfes Gericht mit dem simplen Wort „scharf“ gekennzeichnet wird? So, wie man es aus jedem anderen Restaurant kennt?
Wer bin ich, dass ich die Amalienlust dafür verantwortlich mache, nicht vor Besuch des Restaurants einen zehnstündigen VHS-Kurs im Bereich „Italienische Zutaten und welche man besser meiden sollte!“ besucht zu haben?

Immerhin aber zeigte sich besagte Dame hilfsbereit. Man könne das Essen mit Tomatensauce mischen, um ihm die Schärfe zu nehmen.
Steinpilz-Pasta!
Mit Tomatensauce mischen!
Wo in aller Welt hat die Dame ihr Handwerk gelernt? In der Mensa des Zentrums für Geschmacks-Tote?

Eine weitere Alternative bestand darin, die Schärfe mit Parmesan zu mildern.
Es war die Mensa im Zentrum für Geschmacks-Tote!

Schließlich war es mein Schnüffchen, welches sich heldenhaft in die Schlacht warf. Da wir Hunger verspürten und ein Ersatz-Gericht nicht offeriert wurde, kippte sie knapp ein Kilo Parmesan auf die Nudeln und aß sie mit einer solchen Todesverachtung, dass selbst Bond blass vor Neid würde.
Nun, sie aß zumindest die Hälfte, dann gab auch sie auf. Selbst sie als hartgesottene Scharf-Esserin hatte in diesem Gericht ihren Meister gefunden!

Als wir die Amalienlust verließen, rief uns der Koch ein frohes “Auf Wiedersehen!“ hinterher. Und ja, er wird uns wiedersehen.
Dann, wenn ein Notstand alle anderen Restaurants im Umkreis von 250 Kilometer zwang, die Pforten zu schließen, und nur dort Nahrungsmittel zu finden sind.

Warum ein erneuter Besuch unwahrscheinlich ist?
Nicht wegen des zu scharfen Essens, nein!
Sondern wegen des Umgangs mit uns. Man gibt Gästen nicht das Gefühl, Schuld an ihrem Elend zu sein, wenn man ein Gericht ohne jede Warnung mit einer Höllenschärfe versieht, bei der selbst Satan mit einem Eisberg nachspülen würde!
Als Chefin eines Restaurants muss man wissen, dass die bloße Aufzählung einer nicht alltäglichen Zutat unzureichend ist, wenn besagte Zutat eine solch negative Wirkung entfalten kann.
Und vor allem sollte man als Inhaberin wissen, dass der Gast kein Bittsteller ist. Aber genau dieses Gefühl hatten wir.

Wäre uns ein Ersatzgericht angeboten worden, der Eindruck wäre ein anderer gewesen. Was hätte ein Ersatz das Haus gekostet? Fünf oder sechs Euro? Vielleicht etwas mehr?
Der Verlust nun ist sehr viel höher, denn wir sind in der Regel treue Kunden! Und jeder Kaufmann muss das eine wissen: Es ist teurer, Neukunden zu gewinnen, als Kunden zu halten.

Und was bleibt am Ende mir? Ich rief noch in der Nacht im Zentrum für Geschmacks-Tote an; Aufnahme am Donnerstag, Zungen-Transplantation mit anschließender Geschmacksknospen-Justierung am Freitag.

Ich werde berichten …

In diesem Sinne
ga

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