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Chris Schwarz

Abgelegt unter Aus der Werkstatt
Mittwoch, 10. Februar 2010

Der nächste Chris Schwarz ist noch immer in der Mache. Irgendwie fehlt mir ein bisschen der Biss - ich kämpfe mich so durch die Geschichten. Zum einen habe ich im Brotjob viel zu tun, zum anderen kreisen meine Gedanken um andere Themen, über die ich schreiben möchte. 

Aber Disziplin gehört zum Geschäft und darum treibe ich den Roman heute wieder voran. Ein kleiner Happen, frisch aus der Produktion: das erste Zwischenspiel. Viel Spaß damit: 

I

Carmen hatte es sich mit einem guten Buch gemütlich gemacht. Feuer knisterte in einem offenen Kamen, auf dem Tisch stand eine Tasse mit dampfendem Tee sowie eine Schale mit Gebäck.
Das Christfest gab ihr nichts, jedoch gefiel ihr der Gedanke an Friede in der Welt, Familie und Geschenke.
Aus den Boxen der Stereoanlage drang leise Musik. Für ein paar Tage kam die Welt zur Ruhe, schien jeder Atem holen zu wollen für das neue Jahr.
Sie schreckte auf, als die Tür des Zimmers aufgestoßen wurde und Christoph den Raum betrat. Sein Haar hing ihm verschwitzt ins Gesicht, seine Kleidung klebte an seinem Körper. Noch immer bemühte sich der Detektiv, möglichst menschlich zu sein. Dazu gehörte auch, sich körperlich zu verausgaben.
Hinter ihm trottete Spooky ins Zimmer, schüttelte sich und sackte vor dem Kamin zu Boden. Seine Zunge hing ihm aus dem Maul, seine Ohren hingen schlapp hinab.
„Und? Hast du ihn auf Touren gebracht?“, fragte Carmen vergnügt. „Oder er dich?“
„Er mich. Wir waren im Wald, er nahm die Fährte eines Tiers auf und war plötzlich nicht mehr zu halten. Man sollte nicht glauben, wie flink er sein kann.“
Die Hexe lachte leise. Knapp 90 Prozent des Tages lag Spooky faul in seinem Körbchen oder unter ihrem Schreibtisch. Manchmal hatte sie Angst, jemand könnte eine Obduktion an ihm vornehmen, weil er sich über Stunden nicht rührte. Die restlichen zehn Prozent jedoch ging er richtig aus sich heraus.
„Wo ist Carey?“, fragte Carmen nach ein paar Sekunden. Sie griff nach ihrem Tee und nahm einen tiefen Schluck.
„Im Gewölbe. Sie wollte ein wenig Magie wirken; frag mich nicht, was genau sie tut. Dunkelelfen sind nicht allmächtig und so mancher Zauber muss geübt werden.“
Die Hexe nickte. Auch sie musste ihre Kräfte trainiere, um sie geschickt einsetzen zu können.
„Wieder ein Jahr vorbei. Und was das für ein Jahr war“, seufzte sie, konnte ihren Gedanken aber nicht zu Ende führen, da das Telefon klingelte.
„Detektei Christoph Schwarz?“, meldete sie sich betont freundlich. Am Klang des Signals hatte sie erkannt, dass es ein geschäftlicher Anruf war.
„Kommissar Dietrich hier. Ihr seid also in der Stadt. Das ist gut.“
„Hallo Andreas. Worum geht es denn?“ Carmen kannte den Mann vom Polizeisport. Er war ein ehemaliger Kollege von Christoph, beide verstanden sich gut. Inzwischen kannte die Hexe ohnehin die meisten Beamten aus Landau und Umgebung.
 „Ich habe keine Ahnung, was hier geschieht. Am besten ihr kommt her, dann könnt ihr euch die Scheiße selbst anschauen. Und Carmen – nehmt die schnelle Route, wir brauchen euch dringend.“
„Gib mir die Adresse.“ Noch während sie dies sagte sprang sie bereits auf, um sich umzuziehen. Sie trug einen Hausanzug aus schwarzem Samt und in diesem konnte sie unmöglich zu einem Fall fahren.
„Chris, das war Andreas. Wir müssen so schnell wie möglich nach Kandel.“ Sie eilte aus dem Raum. „Er sagt, es sei superdringend.“
„Sti-hi-le Nacht …“, sang der Detektiv ironisch, während er seiner Frau folgte. Auch er musste sich kurz erfrischen.

II

„Hallo Chris“, grüßte Kommissar Dietrich, als er seinen ehemaligen Mentor sah. „Schön, dass ihr kommen konntet.“
Blaulicht zuckte vor einem kleinen Haus am Stadtrand von Kandel. Polizei und Rettungskräfte waren vor Ort, Schaulustige hatten sich hinter einem Absperrband versammelt und gafften.
Schnee rieselte vom Himmel, die Weihnachtsbeleuchtung in den Fenstern der Häuser ringsum brannte.
Die Szene hatte etwas Unwirkliches, wie der Detektiv fand. Dazu passte auch der Duft von Gebratenem, der in der Luft lag.
„Was ist geschehen?“ Christoph sah, dass die Beamten hinter ihren Wagen standen. Die Tür des Hauses war zu, der Eingang unbewacht. Offenbar lauerte eine noch immer existente Gefahr in dem Gebäude.
„Wir wissen es nicht genau. Vor etwa einer Stunde ging ein Notruf ein. Eine Anruferin sprach von Horror und davon, dass sie in großer Gefahr sei. Sie nannte die Adresse, doch dann brach die Verbindung ab.“
Der Kommissar schob sich einen Kaugummi in den Mund, ehe er fortfuhr: 
„Zwei Beamte fuhren hierher, um sich die Sache anzusehen. Als niemand klingelte drangen sie über ein Fenster im Erdgeschoss ins Innere ein. Kurz darauf rief einer der Kollegen, dass sie angegriffen würden. Die letzten Worte des Beamten lauteten: ,Oh mein Gott, es ist ein Monster.‘ Seitdem haben wir jeden Kontakt verloren.“
„Wo befindet sich das Fenster, durch das die Kollegen vordrangen?“, wollte Carmen wissen. Sie schaute an der Front entlang, konnte den Einstieg jedoch nicht erkennen.
„Auf der Rückseite. Vier Kollegen behalten es im Blick; bislang rührte sich dort nichts. Sie meldeten jedoch ein rotes Flackern. Erst dachten sie, Feuer sei im Inneren ausgebrochen, aber dazu ist das Leuchten zu regelmäßig.“
„Danke, Andreas.“ Christoph nickte seinem ehemaligen Kollegen zu. „Carmen und ich werden uns im Inneren umschauen. Mal sehen, was wir finden.“
„Genau das wollte ich hören, Chris.“ Der Beamte drückte den beiden ein Funkgerät in die Hand. „Ab sofort hast du das Kommando. Wir halten uns bereit.“
Christoph und Carmen machten sich auf den Weg, um das Haus zu umrunden. Dabei hielten sie das Gebäude im Blick. Zwei Beamte waren in Haus vorgedrungen und meldeten sich nun nicht mehr. Das war schlimm. Aber es bedeutetet auch, das zwei Waffen im Spiel waren von denen akut niemand wusste, wer sie in Händen hielt.
Und das war noch ein bisschen schlimmer.
„Hier sind die Kollegen rein?“, fragte Christoph die Beamten, als sie ein schmales, offenes Fenster erreichten. Vier Uniformierte standen davor, die Waffen in Händen.
„So ist es. Und Sie sind …?“, fragte ein junger Polizist.
„Christoph Schwarz; Privatdetektiv. Kommissar Dietrich zog uns hinzu und übergab mir das Kommando über den Einsatz.“
„Ehemals KHK Schwarz?“, fragte der Beamte. „Ich habe viel von Ihnen gehört. Mysteriöse Begebenheiten, Finder des Nibelungenschatzes, Burgbesitzer …“
„Ja, wir machten ein paar Schlagzeilen.“ Der Dunkelalb schenkte dem Mann ein kurzes Lächeln, ehe er sich dem Fenster zuwandte. Er konnte in den daniederliegenden Raum schauen; es handelte sich um eine Küche.
„Wenn uns die Töpfe und Pfannen nicht angreifen, dann ist die Luft rein“, scherzte er, stemmte sich am Sims in die Höhe und schwang sich behände ins Innere der Wohnung.
Anschließend eilte er zur Tür und sicherte diese, inzwischen ebenfalls die Waffe in Händen. Wieder verhielt er sich wie ein Mensch. So, wie man es ihm einst beigebracht hatte.
Carmen folgte ihm nicht minder geschickt. Mehr, sie legte eine fast katzenartige Eleganz an den Tag, als sie in das Gebäude vordrang, ihre Waffe zog und zu ihrem Mann aufschloss.
Sie betraten den Flur des Hauses. Auch hier entdeckten die beiden Detektive nichts Außergewöhnliches. Kleider hingen an einem Haken, in der Luft klebte süßer, weihnachtlicher Duft. Inline-Skater standen neben ein paar Schuhen unter einer Kommode, auf der wiederum Schlüssel lagen.
Musik lief. Leise zwar, aber doch unüberhörbar. Ein altes, amerikanisches Weihnachtslied.
„Hallo?“, rief Christoph laut. „Detektei Schwarz – kann uns jemand hören?“
Eine Antwort erhielt er nicht.
„Schauen wir uns die Räume an“, schlug Carmen vor. Sie ging zu einer geschlossenen Tür und drückte diese auf. „Ein Schlafzi … Bei den Alten …“
Ihr Mann drehte den Kopf. Sein Blick glitt an ihr vorbei in das Zimmer.
Blut!
Es bildete eine Lache auf dem Boden, war jedoch auch bis hinauf zur Decke gespritzt. Ein Körper lag reglos auf dem Teppich, die Glieder verrenkt. Sein aufgerissener Leib wirkte gespenstisch. Därme, Lunge und Herz waren herausgerissen worden.
Nur undeutlich waren Reste der Uniform zu erkennen, die der Mann getragen hatte.
Christoph hob das Funkgerät. „Andreas, wir haben einen der Kollegen gefunden; tot. Hier kommt jede Hilfe zu spät.“
Carmen drückte die Tür vollends auf und trat ein. Sie bemühte sich, nicht in das Blut zu treten, aber dies erwies sich als nahezu unmöglich.
„Hier ist noch eine Leiche“, rief sie Christoph zu. Hinter einem Sessel, zusammengekrümmt, lag eine junge Frau.
Sie sah noch einen Tick schlimmer aus als der Beamte, denn ihr hatte der Mörder Arme und Beine zerfleischt. Zudem sah es so aus, als habe er hineingebissen.
Christoph wandte sich ab und verließ den Raum wieder, um den nächsten zu kontrollieren; das Wohnzimmer.
Auch hier bot sich ihm ein grausiges Bild.
Auf dem Sofa lag eine Frauenleiche, auf dem Boden zwei weitere Tote, darunter der noch fehlende Polizeibeamte.
Abermals erstattete der Detektiv Meldung. Es war ein trauriger Tag für die Polizei in Landau. Sie hatten zwei Kollegen verloren. Zuhause würden nun die Frauen und Familien der Beamten trauern; was für ein Weihnachtsfest.
Carmen legte ihrem Mann eine Hand auf die Schultern. Sie kannten die beiden toten Beamten, mussten ihre eigenen Gefühle jedoch unterdrücken, denn noch immer war nicht klar, wer oder was hier derart grausam gewütet hatte.
Ein lautes, kratzendes Geräusch ließ sie herumfahren. Es war aus einem Raum am Ende des Flurs erklungen.
Mit vorgehaltenen Waffen näherten sich die beiden dem Zimmer.
„Bereit?“, wisperte die Hexe.
Christoph nickte, seine Frau riss die Tür auf – und prallte erschrocken zurück, als sich ihr ein muskulöses Wesen entgegenwarf.
Es war völlig haarlos, ging auf zwei Beinen und verfügte über scharfe Krallen an seinen zehn Fingern. Da es keine Kleidung trug, konnten die beiden die hellrote Haut erkennen, die es bedeckte. Ein großes Glied baumelte schlaff zwischen seinen Beinen, seine Augen funkelten tückisch. Aus seinem Mund ragten scharfe Reißer. Zudem hingen Fleischfetzen daran, Blut war ihm über das Gesicht gelaufen.
Auch Christoph wurde von der Aktion überrascht. Plötzlich war die Kreatur da, versetzte beiden einen Stoß und jagte davon. So, als könne sie die Gefahr wittern, die von den beiden Detektiven ausging.
„Was zur Hölle ist denn das?“, fluchte die Hexe, während hinter ihr eine Tür ins Schloss fiel. „Flink und boshaft.“
„Was auch immer es sein mag – hier in diesem Haus findet es sein Ende.“ Christoph setzte der Kreatur nach. Er hörte schmatzende, schlürfende Laute aus dem Wohnzimmer. Diesmal übertölpelst du mich nicht!
Carmen war dicht hinter ihm, wild entschlossen, dem Grauen ein Ende zu bereiten.
Sie stürmten den Raum und schossen, kaum dass sie das seltsame Wesen sahen.
Kugel um Kugel schlug in den haarlosen Leib ein, riss tiefe Wunden und ließ dünnes Blut hervorspritzen.
Das Biest stieß einen unmenschlichen Schrei aus, während es durch die Wucht der Einschläge gegen die Wand geschleudert wurde.
Für einen Moment funkelte es die beiden Detektive hasserfüllt dann. Dann entfalteten die Patronen ihre Wirkung und beendeten sein unseliges Leben. Kraftlos sackte es zu Boden, ein letztes Beben ließ seinen bizarren Leib zittern.
„Schauen wir nach, ob es noch mehr von ihnen gibt“, wisperte Christoph. Er konnte kaum glauben, dass ein solches Wesen in der Lage gewesen war, eine Familie und zwei Beamte auszulöschen.
Und doch war dies geschehen, wie sie nach einer gründlichen Durchsuchung feststellten.

III

„Ein Weihnachtsgeschenk?“, fragte Kommissar Dietrich fassungslos, während er das Buch in Christophs Händen musterte.
„So ist es. Ein sehr altes Buch über Zauber und Magie. Die Eltern schenkten es ihrer Tochter zu Weihnachten.“ Carmen reichte dem Beamten einen kleinen Geschenkanhänger.
Für unsere kleine Hexe, damit sie weiterhin zauberhaft bleibt. In liebe - Deine Eltern.
„Die Formeln und Beschwörungen darin sind leider alles andere als harmloser Aberglaube. Die vermeintliche Hexe beschwor eine Kreatur aus … einer fremden Welt.“ Das Wort Hölle wollte Christoph nicht über die Lippen; er wusste, dass es so etwas nicht gab.
„Aus einer fremden Welt?“, wisperte der Kommissar. „Bei jedem anderen würde ich nun schallend lachen. Aber nicht bei dir, Chris. Nicht bei dir.“
„Der Fall ist abgeschlossen, das Buch behalten wir.“ Carmen klemmte es sich unter den Arm. „Auch wenn es ein ganz und gar beschissener Tag war.“
„Wem sagst du das?“ Andreas Dietrich schob seine Hände in die Manteltaschen. „Wir sammeln für Familien der beiden Kollegen. Gebt ihr auch etwas?“
„Natürlich. Wir kommen nach den Feiertagen ins Revier.“ Damit verabschiedeten sie sich und stiegen in ihren Wagen.
Der Fall war abgeschlossen. Doch beide fragten sich, wie viele solcher Bücher noch im Umlauf waren, wie viel Leid durch sie verursacht werden würde.

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