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Aus Chris Schwarz 5/2009

Abgelegt unter Aus der Werkstatt
Samstag, 26. September 2009

Amaterasus Liebe


Japan, 31.07.08.2000 – 18:00 Uhr


I


Das Biest sah aus, als sei es aus der Tiefer der christlichen Hölle entstiegen. Kleine, boshaft funkelnde Augen starrten Akira Mutsuhito an, von den gewaltigen, aus dem Maul ragenden Reißern tropfte grün glitzerndes Gift.

Das Wesen, für das der Mensch bis dato keinen Namen gefunden hatte, war kaum größer als ein Königspudel. Statt eines weichen Fells trug die Kreatur jedoch spitze Stacheln auf seinem Rücken, statt ein freudiges Schwanzwedeln begrüßte es die Blutsaugerin mit einem gefährlichen Knurrlaut.

»Was bist du denn für ein Tier?«, fragte Akira, während sie langsam ihr Katana aus der Scheide zog. Sie versuchte, geistigen Kontakt zu dem Wesen aufzunehmen, aber gerade dies gelang ihr nicht. Ihre mentalen Kräfte verliefen im Nichts, kaum dass sie auf das Biest trafen.

Das Knurren wurde lauter. So, als würde die Kreatur merken, dass eine enorme Gefahr von der Vampirin ausging. Doch statt die Flucht zu ergreifen, um sein Leben zu schützen, wählte sie den entgegengesetzten Weg – Angriff.

Aus dem Stand katapultierte sich das Biest in die Höhe und gleichzeitig nach vorne. Mit weit aufgerissenem Maul versuchte es, der Blutsaugerin an die Kehle zu springen.

Akira reagierte, wie sie es schon so oft in ihrer Jahrhunderte währende Existenz getan hatte; sie duckte sich weg, riss ihren Arm mit dem Schwert in die Höhe und schaffte es so, die Klinge tief in den Leib der Bestie zu rammen. Heißes, rotes Blut spritzte auf sie nieder, während das Wesen aus der Bahn geworfen wurde und mit einem lauten, schmerzerfüllten Schrei zu Boden ging.

Die Vampirin schaute dem Sterben des Wesens mitleidslos zu, ehe sie sich erneut jenem Gang zuwandte, den sie zu erforschen gedachte. Sie wartete nicht einmal, bis das namenlose Vieh verendet war.


II


Einst hatte Akira Mutsuhito als Ninja dem Klan von Iga angehört und als Spionin und Attentäterin dem Königshaus gedient. Unzählige Menschen waren durch sie zu Tode gekommen, zahllose Informationen hatte sie gesammelt.

Dann, eines Nachts, war sie ein Wesen geraten, das so viel mehr Macht, Schnelligkeit und Stärke besaß, als jeder Ninja den sie kannte.

An einen Vampir.

Sie hatte sich den verführerischen Augen sowie der mystischen Aura des Blutsaugers hingegeben, in seinen Armen eine unvergleichliche Nacht durchlebt und als Abschiedsgeschenk für Blut, Lust und Seelenverschmelzung die Unsterblichkeit erhalten.

Sie nutzte ihre neu gewonnenen Fähigkeiten, um dem Klan noch sehr viel besser dienen zu können. Erst als das japanische Mittelalter endete und große Veränderungen das Land heimsuchten, als die Reiche nicht mehr stritten, die Samurai bedeutungslos und die Ninja zu einem Relikt vergangener Zeiten wurden, beendete sie ihren Dienst für den Tenno; um als freischaffende Meuchelmörderin eine neue Karriere zu starten.

Ein sehr einträglicher Job, wie sie sehr schnell erkannte, der ihr einen hohen Lebensstandard sowie die Achtung anderer Vampire in Japan sicherte.

Selbst als sie von Diana-Marie Bayron zur Jägerin berufen wurde, änderte sie ihr Leben kaum. Sie widmete sich weiterhin ihrem Job, erfüllte nur gelegentlich Aufträge des Hohen Rates der Vampire in Wien.

In all dieser Zeit jedoch, weder als kleines Mädchen in Iga noch als gefährliche Killerin in Edo, verlor sie je ihren Glauben an die Götter. Andere Vampire wurden im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte zu Atheisten, sie wurden zynisch, spöttisch und manchmal auch zu ihren eigenen Göttern.

Akira hingegen besaß noch immer jenen kleinen, schwarzen Wurfstern mit dem Zeichen der Göttin Amaterasu, den sie einst von ihrer Mutter erhielt.

Während sie nun tief in eine ihr völlig fremde Höhle auf einer kleinen Insel vor Edo vordrang, war sie sich ihres Glaubens sicher.

Ihrer Wahrnehmung hingegen nicht.

Hatte sie wirklich eine Vision empfangen, während sie ihr letztes Opfer aussaugte? Hatte sie wirklich das fein gezeichnete Gesicht der Göttin gesehen, deren Stimme vernommen und von ihr den Auftrag erhalten, Yoshida Miki zu suchen; jenen Günstling der Göttin, der während der Erforschung einer mysteriösen Insel in einen reißenden Zombie verwandelt und von Amaterasu selbst entrückt worden war?

Oder war diese Vision auf eine ungesunde Mischung aus Laudanum, Kokain und Absinth zurückzuführen; ein Cocktail, der auch bei Vampiren wirkte?

Akira vermochte nicht zu sagen, was sie in dieser besonderen Nacht eine Woche zuvor gesehen oder gehört hatte, was real und was lediglich auf die Drogen zurückzuführen gewesen war.

Aber sie wusste, dass bisher jedes Detail ihrer Vision stimmte. Die Insel, die Höhle – selbst das kleine, giftige Biest hatte sie gesehen.

Wenn auch nur flüchtig,

Konnte dies als legitimer Beweis gelten, dass sie von der Göttin engagiert worden war? Oder hatte sie diesen Ort schon früher einmal besucht?

Auszuschließen war dies nicht, denn über Jahre hin hatte die Vampirin versucht, jeden Winkel Nippons zu erkunden. Es bestand die Möglichkeit, dass sie ihr Weg auch hierher geführt hatte; in diesem Punkt war ihr Gedächtnis nicht das Beste.

Ihre Augen durchdrangen die Finsternis, die innerhalb des Ganges herrschte, ohne jegliche Probleme. Wer des Nachts jagte, brauchte gute Augen.

Sand und Geröll knirschte unter den Sohlen ihrer Stiefel, während sie tiefer und tiefer in ein Labyrinth aus Gängen und Höhlen vordrang.

Einige dieser Schächte waren von Menschenhand in den Stein getrieben worden, andere nicht. Einst wurden hier Erze gewonnen. Aber das lag schon Jahrhunderte zurück. Inzwischen hatte man die kleine Insel und ihre vielleicht noch vorhandenen Bodenschätze vergessen. Es lohnte nicht, mit Maschinen hierher zu kommen.

Die Spuren der Arbeiter einst waren geblieben. Mehr als einmal war Akira auf eine Malerei gestoßen, angefertigt von den Männer in ihren Pausen oder kurz nach Feierabend. Auch Schrift war ihr aufgefallen. Ein Arbeiter hatte seinem Unmut über einen Vorgesetzten Ausdruck verliehen, ein anderer ein Haiku verfasst.

Jetzt bin ich nun hier, auf der Suche nach Yoshi, die Göttin ist froh. Auch ein Haiku, dachte Akira ironisch, die sich einst mit dieser Form des japanischen Gedichts befasst und einige bemerkenswerte Texte verfasst hatte. Viele waren verloren gegangen, einige hatten die Wirren der Zeit überstanden.

Sie hätte vermutlich weitere Haikus gebildet, denn einmal damit begonnen fiel es ihr schwer, wieder aufzuhören. Doch plötzlich, fast aus dem Nichts, tauchte schleimiges Biest vor ihr auf. Das Wesen war gut zwei Meter groß, hatte menschliche Formen und wirkte eher kompakt denn athletisch.

Bestialischer Gestank ging von der Kreatur aus; Gestank, der an Verwesung und verrottendes Fleisch erinnerte.

Ein Ghoul? Hier? Akira steckte das Schwert zurück in die Scheide, während der Leichenfresser näher kam. Sie wusste, dass sie mit ihrer Klinge keine Chance gegen diese niederste aller Kreaturen hatte. Das ist aber dumm gelaufen.

Die Blutsaugerin wusste, wie man mit einem Ghoul umgehen musste. Etwas Salz, schon starb das Biest. Das Problem war nur, dass Akira nicht ständig Salz in der Tasche hatte und auch war sie nicht auf das vorbereitet, was ihr entgegenkam. Tatsächlich hatten die meisten Menschen, Vampire oder Werwölfe äußerst selten Salz dabei, wenn sie einem Ghoul begegneten. Wohl auch, weil diese Biester nicht bei Wal Mart auf Opfer lauerten, sondern an Orten, an denen man nicht mit Gewürzen jedweder Art auftauchte.

Akira wich zurück. Sie hatte keine Angst, als Ghoulnahrung zu enden. Sie war zu schnell, als dass der Leichenfresser ihrer hätte habhaft werden können. Sie musste jedoch an der Bestie vorbei, und das konnte schwierig werden.

Ein helles Geräusch erklang, als ihre Füße gegen einen metallenen Gegenstand stießen. Überrascht drehte Akira den Kopf und schaute hinab auf eine Waffe, die kaum eine Minute sicherlich nicht in diesem Gang gelegen hatte. Akira wusste, dass ihr das glänzende Schwert niemals entgangen wäre.

Sieh mal an, was wir da haben. Sie hob das völlig gerade Katana auf. Es lag gut in der Hand, fühlte sich jedoch gleichzeitig fremd an.

Nur ein Mensch konnte es nahezu meisterlich führen – eben Yoshida Miki. Diese Waffe war in den Feuern der Verdammnis geschmiedet worden. Wesen wie ein Ghoul tötete das Schwert vor dem Frühstück, um sich nach einem großen Kaffee eine Armee Vampire vorzunehmen.

»Mein Freund, deine letzten Sekunden laufen«, rief die Vampirin dem Ghoul zu, warf sich nach vorne und trieb die Klinge tief in den teigig-schleimigen Leib des Leichenfressers.

Der Strahl durchdrang den Körper. Ein gequälter Blob war zu hören, als die Klinge den Ghoul nahezu teilte.

Der Friedhofsdämon brach zusammen. Er stürzte nicht, wie dies bei einem Mensch normal gewesen wäre, sondern er schmolz wie Eis unter der Höhensonne. Sein Leib wurde noch schleimiger, dann flüssig und plötzlich wurde das Wesen zu einer Pfütze.

Damit war das Sterben des Ghouls noch nicht abgeschlossen. Stinkende Blasen stiegen auf, als das Wesen mit dem Tode rang. Erst, als die Flüssigkeit fest wurde, brüchig und schließlich pulvrig, war es endgültig vorbei.

Akira hatte dem Sterben ihres Gegners mit einer morbiden Faszination beigewohnt. Sie mochte diese Kreaturen nicht, so dass sie kein Mitleid empfand. Interessant war der Tod eines Ghouls jedoch stets.


III


Die Höhle, die Akira wenig später erreichte, war nahezu riesig. Sie erinnerte an das Innere einer Kathedrale, wie die Blutsaugerin fand. Hohe Säulen ragten vom Boden hinauf zur Decke, kleinere Steine bildeten Reihen. Die Wände leuchteten in einem kräftigen Grün, die Dunkelheit der Gänge blieb am Eingang zurück. Akira vermutete, dass ein Mineral im Stein mit Sauerstoff reagierte und der Fels daher fluoreszierte.

Selbst ein Altar war vorhanden. In der Mitte der Höhle, gut fünfzig Meter von deren Eingang entfernt, erhob sich eine Steinplatte, getragen von mehreren Blöcken.

Je länger sich die Vampirin umschaute, umso sicherer war sie sich, dass manche der Gebilde tatsächlich von Menschen geschaffen worden waren; von Menschen, die hier der Göttin huldigten.

»Dies ist meine Höhle«, hörte sie plötzlich eine weibliche Stimme sagen. »Mein Reich, in dem ich lebte und mich vor der Welt verbarg.«

Erschrocken wirbelte Akira herum. Die Stimme war hinter ihr erklungen, dort wo sich der Gang befand. Niemand war ihr gefolgt und bis zu diesem Moment hatte sie auch keine andere Präsenz wahrgenommen. Nun aber wurde sie mit einer Entität konfrontiert, so viel mächtiger als sie oder jeder andere Vampir, den sie kannte; Diana-Marie eingeschlossen.

Die Fremde musterte sie abschätzend. Der Blick der Frau, die nun vor Akira stand, konnte als stechend beschrieben werden. Er schien die Blutsaugerin zu durchdringen und ihre Seele zu sezieren.

Die Ninja brauchte kaum eine Sekunde, um zu begreifen. Demutsvoll sank sie auf die Knie und senkte zudem den Blick.

»Steh auf, Akira Mutsuhito. Du bist kein Mensch, du musst nicht vor mir kriechen. Erhebe dich und schau mich an.«
Die Vampirin kam der Aufforderung nach. Sie spürte die Größe des Moments. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Amaterasu erschien nicht jedem. Streng genommen kannte sie nur eine Person, die schon einmal zu Amaterasu Kontakt hatte – Yoshida Miki.

Um ihn ging es bei dieser Suche.

»Du bist gekommen, um meinen Schützling zu finden. Dafür danke ich dir. Er ist schwach und nicht in der Lage, den Weg hinaus aus freien Stücken zu finden. Bringe ihn nach Edo. Ein Mann namens Kato wird sich seiner annehmen. Deine Pflicht endet, sobald du ihn abgeliefert hast.«

»Wo ist er?«

Die Göttin gab keine Antwort. Stattdessen vollführte sie eine Geste, als wolle sie Akira zuwinken, Ein leiser Ton erklang, dem hohen F nicht unähnlich, gefolgt von einem tiefen Stöhnen.

Als Akira den Kopf drehte, lag Yoshida Miki auf dem steinernen Altar.

»Deine Dienste sollen belohnt werden, Schattenkriegerin. Bis dahin nimm meinen Dank.«
Akira nickte. Sie hatte so viele Fragen, doch keine einzige drang über ihre Lippen. Sie schaute die Göttin an und sah, dass diese verblasste. Sie löste sich auf, bis sie völlig verschwunden war.

»Akira?«, hörte sie Yoshi sagen. »Du bist gekommen, um mich ...?«

Die Vampirin nickte. »So ist es, alter Freund. Also komm – wir haben einen langen Weg vor uns. Sei unbesorgt, ich führe dich sicher nach Edo.«

»Ich habe keine Angst. Danke ...«

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