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Die Schatzjägerin 14 - Eine Leseprobe

Abgelegt unter Aus der Werkstatt
Donnerstag, 6. August 2009

Kapitel 1


New York City/ 28.07.2005, 19:30 Uhr

 

I

 

Der Central Park schien sich in einen Regenwald verwandelt zu haben. Stunden zuvor war ein Sommergewitter über dem Big Apple niedergegangen. Der Regen hatte den Staub der letzten Wochen beiseite gespült und den Pflanzen reichlich Wasser geschenkt. Doch kaum war das Unwetter verklungen, kehrte die Hitze zurück. Nun dampften die Beete und Wiesen. Feuchtigkeit klebte in der warmen Luft, durchfeuchtete die Kleidung der Spaziergänger und machte vor allem älteren Menschen das Atmen schwer.

Selbst die Vögel im Park schienen sich über dieses Klima zu beschweren, denn sie zirpten und schrien aufgeregt.

Jaqueline joggt dennoch durch den Park. Inzwischen war sie so häufig in echten Regenwäldern gewesen, dass ihr die Feuchte an jenem Tag nichts ausmachte.

Schweiß lief über ihren Körper, das weiße Shirt klebte längst an ihrer Haut. Ihr Atem ging gleichmäßig, während sie unter einer der zahlreichen Brücken hindurch lief, die Fahrbahn und Fußgängerwege trennten. Jede Brücke im Park war ein Unikat, keine zwei Brücken waren gleich.

Hinter der Brücke begann eine Wiese. Kinder spielten auf ihr, ein paar Pärchen hatten isolierte Decken ausgebreitet und genossen die Abendstimmung. New Yorker machten aus allem das Beste. Dies hatte Jaqueline kurz nach ihrem Umzug in den Big Apple erkannt. Hin und wieder erschienen sie zwar nihilistisch, kurz angebunden und wütend auf Gott und die Welt – am Ende aber krempelten sie die Ärmel nach oben und gingen es an. Diese Einstellung hatte ihnen 2001 geholfen, den Schrecken zu überwinden. Und auch jetzt ließen sich viele von ihnen nicht von dem Wetter abhalten, ein paar Stunden im Park zu verbringen.

Hören konnte Jaqueline weder die Kinder noch eine Gruppe Rentner, die sie nun passierte. Es war, als sei sie akustisch in eine andere Welt eingetaucht – denn in ihren Ohren steckten die kleinen Kopfhörer eines neuen iPods.

Sie hatte sich das Gerät erst wenige Stunden zuvor gekauft, den Akku aufgeladen und ein paar Songs überspielt, um ihn anschließend sofort einzuweihen. Zwar verfügte auch ihr X-Gerät über die Möglichkeit, Musik- und Videodateien abzuspielen, doch bot das Gerät von Apple sehr viel mehr Komfort; vor allem, wenn sie sich Songs kaufen wollte. Multimedia stand bei Roger Müller, dem Entwickler des X-Geräts, nicht an oberster Stelle der Prioritätenliste.

Die Wiese blieb zurück, das Gelände veränderte sich. Hohe Bäume wuchsen nun rechts und links, der Weg wurde zudem schmaler, aber auch dunkler. Die Abendsonne hatte kaum die Chance gegen die saftigen Blätter. Sie färbten das einfallende Licht grün. Der Eindruck, in einem Regenwald gelandet zu sein, verstärkte sich.

Wäre dieser Abschnitt länger gewesen, Jaqueline hätte die Datenbrille aufgesetzt, um das trübe Licht zu filtern und die Helligkeit zu verstärken. Da es sich aber um kaum fünfhundert Meter handelte, machte sie sich deswegen keine Umstände.

Die Schatzjägerin hatte den Abschnitt etwa zur Hälfte durchquert, als vor ihr zwei ordentlich gekleidete Männer auf den Weg traten. Sie mussten hinter den breiten Stämmen der Bäume gelauert haben.

Jaqueline spürte die Gefahr. Wie ein Hauch streifte sie die Erkenntnis, dass diese Männer wegen ihr in den Park gekommen waren. Seit Tagen joggte sie Abend für Abend durch die grüne Lunge der Stadt, nahm stets die gleiche Strecke und hatte sich so selbst zu einem einfachen Ziel gemacht.

Sie schaltete den iPod ab und nahm die Ohrhörer ab, während sie ihren Lauf stoppte. Kaum zwei Meter trennten sie nun von den Männern, die ihr sarkastisch lächelnd entgegen blickten.

»Sieh an«, scherzte die Deutsche, »Mister Kidd und Mister Wind sind gekommen. Wenn das nicht zwei gedungene Handlanger der SSSK sind.«

Die beiden Männer runzelten die Stirn. »Mister Kidd? Mister Wind?«, fragte einer von ihnen. »Ich fürchte, diesen Scherz habe ich nicht verstanden.«

Die Schatzjägerin winkte ab. »Wollt ihr mich erschießen? Erstechen? Oder hat einer von euch Clowns eine Garotte einstecken?«

»Gift«, erwiderte jener, der schon zuvor gesprochen hatte. »Ein kleiner Pfeil, der Ihrem Leben ein rasches Ende setzen wird, Doktor Berger.«

»Ah ... Der letzte Killer versuchte es ebenfalls mit Gift. Er injizierte es in eine köstliche Pilzsuppe. Nur Minuten später fuhr er zur Hölle, während ich seine Suppe aß.«

»Wir arbeiten nicht mit Suppen, sondern mit einem kleinen Hilfsmittel.« Damit zückte der Sprecher ein Blasrohr.

Wie schon während des Fluges nach Addis Abeba nahm die Situation groteske Züge an. Jaqueline plauderte mit jenen, die sie töten wollten.

Gelang es ihnen, würde sie Frieden finden. Sie fürchtete weder das Gift noch den Tod. Gab es ein Leben nach diesem, sah es deutlich friedlicher aus als jenes, das sie nun führte. Gab es keines, blieb nur Schwärze. Das Nichts, und auch vor ihm musste man sich nicht fürchten.

Jaqueline war seit Monaten bereit, den letzten Weg anzutreten. Ihre Angelegenheiten waren geregelt. Geschah es nun, war es ihrer Meinung nach nicht schlimm.

»Das haben schon andere versucht«, gab Jaqueline lässig zurück. »Ein Stamm im Regenwald wollte mich auf diese Weise ausschalten. Hat nicht geklappt.«

»Wir sind keine Wilden, Doktor Berger. Wir verstehen unser Handwerk. Das kann ich Ihnen versichern.« Der Killer wollte das Blasrohr zu den Lippen führen, ließ es aber sinken, als mehrere Jogger den Weg entlang kamen.

Jaqueline war egal, wer Zeuge ihres Handelns wurde. Daher warf sie sich plötzlich nach linkes, zwischen zwei Bäume. Gleichzeitig zog sie ihre Pistole, die sie wie stets mitführte. Die Jogger waren fast heran, aber auch die Killer wollten reagieren. Die Situation hatte sich binnen weniger Sekunden grundlegend geändert.

Jaqueline schoss.

Die Kugel traf jenen, mit dem sie gesprochen hatte, und drang seitlich in dessen Schädel ein. Er stürzte zu Boden, seine Glieder zuckten seltsam.

Die Jogger stoben in alle Richtungen davon. Manche schrien, andere warfen sich auch in Deckung. Plötzlich herrschte das perfekte Chaos.

Der zweite, bislang stumme Killer, zog ebenfalls eine Pistole. Die Katze war ohnehin aus dem Sack, der heimliche Mord würde zu einer Schießerei verkommen.

Er verfluchte seine Auftraggeber. Wäre es nach ihm und seinem Kollegen gegangen, sie hätten die Zielperson aus dem Schatten der Bäume heraus liquidiert. Aber nein, ihre Kunden wollten unbedingt, dass sie mit dem Tod konfrontiert wurde. Das habe sie sich verdient, wie es hieß. Nun hatten sie die Scheiße.

Jaqueline sah den Killer, konnte aber nicht schießen, da zwei Männer, die sich zuvor klugerweise zu Boden geworfen hatten, plötzlich aufsprangen und nach ihren Frauen oder Freundinnen riefen.

Auch der Killer konnte nicht schießen. Beide blickten einander an, dazu verdammt, abzuwarten.

Dann war das Schussfeld wieder frei.

Jaqueline warf sich nach links, der Killer ebenfalls. Beide mussten Deckung suchen, gleichzeitig aber auch den jeweils anderen im Blick behalten.

Hufgetrappel erklang, und auch Sirenen waren zu hören. Die Polizei des Parks rückte an, um die Situation zu klären.

Der Auftragsmörder begriff, dass er seinen Job diesmal nicht beenden konnte. Keinesfalls kam er an seine Zielperson heran, bevor die Cops die Szene erreichten.

Er schaute sich um, sprang auf und wollte geduckt die Flucht ergreifen.

Weit kam er nicht.

Plötzlich stand Jaqueline vor ihm. Er blickte in den Lauf ihrer Pistole, roch das Pulver und das Öl der jüngst abgefeuerten Waffe.

»Heute ist nicht dein Glückstag.« Jaqueline schaute den Mann kalt an. Die Polizei war fast heran. »Hast wohl nicht bemerkt, dass ich einen Bogen geschlagen habe, wie?«

»Schieß doch!« Er reckte sein Kinn vor. »Schieß, und du landest hinter Gittern.« Er hob die Arme, während die Polizeiwagen stoppten und mehrere Uniformierte auf den Gehweg sprangen. »Ich ergebe mich!«, brüllte er dabei so laut, dass es die Cops auch bestimmt hörten.

»Ich brauche dich nicht zu töten«, erwiderte Jaqueline leise. »Das übernehmen andere für mich. In Rikers gibt es genug Spinner, die sich ein paar Bucks verdienen wollen. Einer von ihnen bringt dich im Auftrag der SSSK um die Ecke. Bevor du reden kannst und bevor du für die eine Gefahr wirst.«

Sie sah, dass Cops durch das Gebüsch brachen. Lässig nahm sie ihren Ausweis hervor, der sie als Mitarbeiterin der Agency auswies.

Kurz darauf wurde der Killer zu einem der Wagen gebracht, die Leiche hingegen von einem Gerichtsmediziner untersucht. Schaulustige bildeten eine Traube, mehr und mehr Gaffer kamen, um sich das Schauspiel anzusehen.

Jack selbst sagte nicht allzu viel. Sie gab den beiden Ermittlern, die kurz nach den uniformierten Kollegen den Tatort erreichten, eine knappe Zusammenfassung der Geschehnisse. Hintergründe, dies machte sie ihnen klar, würden sie von ihr keine Erfahren. Dafür war Harvey in Langley zuständig.

Die Detectives begriffen, dass dies lediglich die nette Umschreibung dafür war, dass sie nichts erfahren würden. Nicht von ihr, nicht von sonst jemanden. Dies hier war eine Angelegenheit der Agency und sie würde sich um alles Weitere kümmern. Sie, nicht das New York Police Departement.


II


Jaqueline fühlte sich müde, als sie an jenem Abend nach Hause kam. Zu müde, um noch einmal auszugehen, einen Club zu besuchen und abzuschalten.

Seit ihrer Rückkehr aus Afrika hatte sie die meiste Zeit in ihren eigenen vier Wänden verbracht. Nur einmal war sie ausgegangen, um sich zu vergnügen. Sie war in den Armen einer Frau gelandet, sie nie zuvor gesehen hatte. Eine belanglose Nacht, ein paar Orgasmen und das schale Gefühl am nächsten Morgen, sich unter Wert zu verkaufen.

Sie zog ihre schmutzige Kleidung aus und ging unter die Dusche, um sich den Schweiß vom Körper zu waschen. Ihre Muskeln zitterte, ihr Körper erholte sich langsam von der Anstrengung. Sie mochte das Gefühl, sich positiv verausgabt zu haben.

Nach der Dusche schaute sie auf die Uhr. Sie hatte einen Termin mit Harvey, und dies am nächsten Nachmittag um zwei. Das Problem war, dass sie dazu nach Washington musste. Die Maschine ging bereits um neun, das Ticket lag bereit.

Bisher hatte sie der Hauptstadt der USA erst zweimal einen Besuch abgestattet; immer, um sich mit Harvey zu treffen. Statt in seinem Büro empfing er sie lieber in einem kleinen Restaurant, von dem aus man auf das Kapitol schauen konnte. Möglich, dass dieser Anblick die patriotische Seite in Harvey oder dessen Besuchern zum schwingen brachte. Vielleicht fiel es dem Agenten dort leichter, neue Mitarbeiter zu rekrutieren, seine Botschaft zu vermitteln oder sich die Größe des Moments hervorzuheben.

Vielleicht schmeckte ihm das Essen dort aber auch nur besonders gut und er nutzte jede Gelegenheit, dort einzukehren.

Jaqueline grinste bei diesem Gedanken. Mit einer Schale Mikrowellen-Nudeln setzte sie such auf das Sofa, schaltete den Flatscreen-TV ein und startete die Wiedergabe des daran angeschlossenen DVD-Players.

Der Film lenkte sie ab, die Nudeln bildeten die Grundlagen für den Gin-Tonic, mit dem sie eine Xanax hinunter spülte – ihre kleine Garantie für einen Schlaf ohne Alpträume.

Die Müdigkeit kam noch vor dem Ende des Films. Zu faul um in ihr Schlafzimmer zu gehen streckte sie sich auf dem Sofa aus, schob sich eines der kleinen Kissen unter den Kopf und deckte sich mit dem Bezug zu. Während auf der Mattscheibe das Gute einmal mehr siegte, döste sie weg in einen medikamentös unterstützten Schlaf, in dem es keine Ängste, keine Anklagen und keine Vorwürfe gab.

In ihrem Traum war sie wieder jenes kleine Mädchen, das durch Andernach fuhr und große Pläne schmiedete. Keiner dieser Pläne hatte je vorgesehen, Menschen zu foltern oder zu töten. Sie hatten auch nicht vorgesehen, selbst gefoltert zu werden.

Irgendwo auf dem langen Weg zwischen kleinem Mädchen und ihrem jetzigen Leben war etwas ganz entschieden falsch gelaufen ...

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