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Chris Schwarz 4/2009 - Aus dem erste Kapitel

Abgelegt unter Aus der Werkstatt
Mittwoch, 17. Juni 2009

 Frankfurt, 04.06.2000 – 16:30 Uhr

»Blas ihn. Los, lutsch an ihm, Hure.«

Die Stimme des Mannes klang gepresst, während er die Worte ausstieß. Sein Blick der Welt entrückt, sein Unterleib provozierend nach vorne gereckt. Nur sein Glied war entblößt. Er hatte lediglich den Reißverschluss nach unten und die Unterhose zur Seite gezogen, um ihn herauszuholen.

Hin und wieder schaute sich Eugen Bahr um. Tränen schimmerten in seinen Augen, während er den Kopf der Prostituierten umfasste, die vor ihm zwischen seinen Beinen kauerte und tat, um was er sie bat.

Bahr wusste nicht, wie alt das Mädchen war, dem er einen Zwanziger zugesteckt hatte. Sie konnte sechzehn sein, oder fünfzehn. Vielleicht auch schon erwachsen – die Drogen hatten ihren Körper ausgemergelt und ihr Gesicht altern lassen. Die Hoffnungslosigkeit, der Schmerz und Krankheiten zehrten an ihr.

Bahr wusste das. Er kannte das Mädchen nicht, aber er kannte andere, die so waren wie sie. Die sich einem Elend ergeben hatte, aus dem es meist nur einen Ausweg gab – den Tod.

Ihr Schicksal rührte den 46-Jährigen. Gerade deswegen hatte er sie in der U-Bahn Richtung Hauptbahnhof angesprochen, ihr das Geld gegeben und sie gegeben, es ihm zu besorgen; gleich hier, an Ort und Stelle.

Tränen glitzerten in seinen Augen, während er ein wohliges Seufzen ausstieß. Bahr genoss nicht allein die Lippen an seinem Schwanz, sondern auch die Vorwürfe, die in ihm gärten. Weil er unkeusch lebte, weil er eine Hure für ihre Dienste bezahlte und weil er eine Drogensüchtige ausnutzte. Er, der einst hatte Priester werden wollen, der dem Glauben zugetan war, zerbrach an dem Zwist menschlicher Triebe und göttlicher Befehle.

Niemand sonst in der Bahn bemerkte, was sich in der letzten Reihe tat. Die Hure war derart mager, dass sie sich zwischen Sitz und Unterleib hatte quetschen können. Da Bahr nach außen hin unbeteiligt tat und darüber hinaus sehr leise sprach, wurde keiner der anderen Fahrgäste auf sein Tun aufmerksam.

Das Mädchen zwischen seinen Beinen benutzte nun die Hand, um ihn zusätzlich zu stimulieren. Sie wollte es hinter sich bringen, wollte, dass er spritzt. Die zwanzig Mark waren ihr wie ein Geschenk Gottes erschienen, denn mit ihnen konnte sie sich ein bisschen Dope kaufen, bevor sie sich in der Nidda-Straße an eine Laterne stellte und auf weitere Freier wartete.

Einen Dauerbeschäftigung sollte die Sache jedoch nicht werden. Die meisten Freier kamen nach wenigen Minuten. Dieser hier hielt bedeutend länger durch.

Derweil spürte Bahr, dass es bald so weit sein würde. Mit der linken Hand griff er in seine Hosentasche und umfasste durch den aufgetrennten Stoff eine braune Lederschnalle. Mit ihr konnte er den Bußgürtel verstellen, den er sich um den Oberschenkel geschnallt hatte.

» Pater noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum. Adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra.«

Die Worte des Mannes waren nur ein Hauch, während er den Bußgürtel ruckartig anzog. Schmerzen, größer als je zuvor, schossen durch sein Bein, als sich die Krallen tief in sein ohnehin entzündetes Fleisch bohrten. Blut und Eiter spritzten hervor und liefen sein Bein herab, während er das Vaterunser auf Latein betete.

Die Pein ließ seine Lust wachsen. Er büßte für den Genuss, bat Gott auf diese Weise um Verzeihung und schaffte es dennoch nicht, die Hure im entscheidenden Moment von sich zu stoßen.

Noch einmal zog er den Bußgürtel enger. »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.«

Das letzte Wort rief er deutlich lauter, denn Schmerz und Lust mischten sich zu einem gewaltigen Höhepunkt. Sein gesamter Körper schien in Flammen zu stehen, als es ihm kam. In der Scheibe sah er sein gerötetes Gesicht, seinen glasigen Blick und auch die stoppeligen Barthaare. Kurz glaubte er einen roten Blitz wahrzunehmen, außerhalb der Bahn. Aber sicher war er sich nicht. Andere Dinge waren wichtiger, als dass er darüber hätte nachdenken wollen.

Der Schmerz in seinem Bein blieb, brennend und angefüllt mit dem süßen Versprechen göttlicher Vergebung.

Die Lust verebbte.

Noch immer betrachtete er sich in der Scheibe der Bahn. Seiner Meinung nach blickte ihm aus dem Glas eine Abscheulichkeit an, eine Kreatur, nicht würdig zu leben und sich an Gottes wunderbarer Schöpfung zu erfreuen. Nur durch Buße und Schmerz konnte es ihm gelingen, diese Kreatur zu besiegen und zu einem wahrlich reinen Menschen zu werden.

Langsam schaute er hinab zu der jungen Frau, die noch immer zwischen ihm und dem Sitz klemmte. Wie vereinbart hatte sie geschluckt.

Ihm war egal, ob ihr dies etwas ausmachte oder nicht. Sie war eine Gefallene, der die Tore der Hölle weit offenstanden. Sie würde niemals Vergebung erfahren. Was interessierte ihn da, ob sie Ekel empfand, wenn er ihr in den Rachen spritzte?

»Darf ich aufstehen?«, fragte sie mit leiser Stimme. Sie nahm den widerlichen Gestank war, der plötzlich aus seiner Hose drang. »Oder willst du noch einmal? Für einen weiteren Zwanziger kann ich es dir ...«

»Verschwinde schon. Los, kriech davon.« Bahr ordnete seine Kleider, während er sich abwandte und erneut zum Fenster hinausschaute. Die Schwärze des Tunnels machte es ihm fast unmöglich, etwas zu erkennen. Er sah sich und auch die kleine Nutte, die nun dem Platz vor ihm saß. Die Lampen der Bahn, die Werbung an der Decke und die Polster der Sitze – all das spiegelte sich in der Scheibe.

Bahr überlegte, wie lange die Fahrt noch dauern würde. Inzwischen hätten sie bereits die nächste Station erreichen müssen. Aber dies war nicht der Fall. Der Zug jagte weiterhin durch die Dunkelheit.

Dann sah er die Schemen. Erst glaubte er, sie würden sich innerhalb der Bahn befinden und sich lediglich wie all das andere auch im Glas spiegeln.

Erschrocken drehte er den Kopf, aber da war nichts.

Als er wieder zum Fenster schaute, begriff er.

Die Schemen waren hinter dem Glas, dort draußen. Sie füllten den Tunnel aus.

Die Bahn bremste. Nicht langsam, als würde sie in eine Station einfahren, sondern ruckartig.

Eine Notbremsung.

Bahr wurde in den Sitz vor ihm gepresst, ehe er hart nach hinten schlug. Eine Frau, die bereits zur Tür hatte gehen wollen, wurde durch den Wagen geschleudert. Sie prallte gegen die Tür der Kabine und blieb dort liegen. Ein kleines Mädchen verletzte sich, als es über den Sitz gehoben wurde.

Das Kreischen der Bremsen übertönte die Schreie innerhalb der Wagen. Erst als der Wagen stand, würden die Laute der Verletzten hörbar.

Einige der Fahrgäste leisteten Erste Hilfe, der Großteil drängte sich jedoch neugierig an die Fenster, um nach dem Grund für die Notbremsung Ausschau zu halten.

Sie alle sahen die Schemen, die durch den Tunnel huschten.

Entsetzt wichen die Menschen zurück, Neugier wandelte sich zu Panik.

Die Bahn fuhr wieder an. Kurz knackten die Lautsprecher, so als wolle der Fahrer eine Durchsage machen. Aber diese kam nicht.

Stattdessen sahen sie alle einen hellen Lichtpunkt in der Ferne. Die nächste Station kam in Sichtweite. Ein winziger Schimmer der Hoffnung.

Ein Schlag erschütterte die Wagen. So, als habe sich etwas mit großer Wucht gegen die Bahn geworfen. Erneut wurden Menschen zu Boden geschleudert, während der Fahrer Gas gab.

Der Lichtpunkt blieb. Er verschwand nicht, wuchs aber auch nicht an.

Ein weiterer Schlag traf die Bahn, heftiger als zuvor. Er ließ die Waggons schwanken und das Glas der Scheiben am Notausstieg reißen.

Der Fahrer jagte mit Vollgas durch den Tunnel. Abermals knackten die Lautsprecher, Rauschen drang aus ihnen hervor, gefolgt von einem erschrockenen Schrei.

Panisch klammerten sich die Passagiere aneinander. Manche weinten, andere riefen um Hilfe. Einer kam auf die Idee, die Notbremse zu ziehen, doch andere hielten ihn davon ab.

Bahr war auf seinem Sitz zusammengesunken und betete. Laut, so dass es jeder hören konnte, rezitierte er das Vaterunser, gefolgt von mehreren Ave Maria.

Ein letzter Schlag traf die Wagen. Die zuvor gesplitterten Scheiben wurden nach innen gefegt, unzählige Schemen drangen ein.

Dort, wo sie auf Menschen trafen, erklangen qualvolle Schreie.

Und noch immer war der Lichtpunkt in der Ferne nicht mehr als eben das – ein Lichtpunkt. Die Station bot keine Rettung vor dem, was sich innerhalb der Bahn abspielte.

Bahr zog den Bußgütel derart eng, dass er aufschrie. Tränen rannen über seine Wangen, während er die Arme ausbreitete, um die Schemen zu empfangen. Er wusste, dass er diese Fahrt nicht überleben würde. So wenig wie all die anderen, die mit ihm in diesen Wagen gefangen waren.

Einige waren bereits tot, jeglichen Lebens beraubt.

Plötzlich, noch während sich Bahr der Schemen ausgesetzt sah, jagte der Lichtpunkt heran, wurde größer und bildete die Station Messe.

Der 46-Jährige wollte aufspringen, um sich in Sicherheit zu bringen. Doch dann sah er die wankenden Gestalten auf dem Bahnsteig, das von den Wänden und Decken fließende Blut und die geflügelten Hunde, die sich eines Mülleimers bemächtigt hatten.

»Wir sind in der Hölle!«, schrie er mit überschnappender Stimme. »Wir sind verdammt.« Ein irres Kichern kam über seine Lippen, ehe er sich mit ausgebreiteten Armen den Schemen ergab. Er spürte den unsäglichen Schmerz, als sie ihm sein Leben raubten. Schwärze umfing ihn, kraftlos sackte er zu Boden.

Er spürte nicht mehr, dass sich der Zug wieder in Bewegung setzte und kurz darauf durch den Tunnel raste, der Station Hohenstaufenstraße entgegen. Bahr erlebte auch nicht mehr mit, dass sich die Schemen auflösten, noch bevor die Bahn ihren nächsten Halt erreichte. Dass das Grauen zurückblieb, nahezu ohne Spuren zu hinterlassen.

Nur ein Mensch überlebte die Todesfahrt der U4, wenn auch nur wenige Sekunden; der Fahrer. Mit panisch verzerrtem Gesicht taumelte der Mann auf den Bahnsteig, brach dort zusammen und streckte seine Hand einer entsetzten Schülerin entgegen, die hatte einsteigen wollen. Nach ein, zwei Atemzügen sank der Arm des Manne zu Boden. Sein Herz hörte auf zu schlagen, sein Blick brach.

Er konnte niemandem mehr sagen, wie lange die Fahrt gedauert hatte. Dass für ihn Tage vergangen waren, in denen er mit einer Bahn voll Leichen durch die Schwärze des Tunnels hatte rasen müssen. Dass ihm der Tee, den ihm seine Frau gekocht hatte, schon zu Beginn der Odyssee ausgegangen war, die Brote ebenfalls. Er konnte niemandem von dem Hunger und dem Durst berichten, von den Schemen, dem Unbegreiflichen.

Niemand ahnte etwas davon, denn für die Menschen auf dem Bahnsteig hatte die U4 lediglich zwei Minuten Verspätung gehabt.

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Shinwatoshi /
Donnerstag, 1. Januar 1970
Ich gebe ja zu, dass ich bis jetzt noch nicht viel von dir gelesen habe. Aber das was ich gelesen habe (u.a. die "Kurzgeschichte" auf Scribd.com) fing immer mit ner Sexszene an. Gibt es auch Stories von dir, die nicht mit rumvögeln anfängt?
Da wir grad beim Thema sind: Irgendeiner meinte mal, dass bei Chris Schwarz ein Schwuler mitspielt (oder dass er das sogar selber ist). Jetzt meine Frage, da ich Chris nicht kenne: Sind die Sexszenen da genauso beschrieben wie bei den Berger-Romanen?
Kommentar:
Die meisten Geschichten von mir fangen nicht mit rumvögeln an. Der Roman, aus dem dieser Auszug ist, auch nicht. Es ist der Anfang von Kapitel 1, zuvor gibt es eine Vorgeschichte in der gar nicht gevögelt wird und dann einen Prolog, in dem ein bisschen gevögelt wird, was aber diesmal in der Natur der Sache liegt, da es um einen Porno-Dreh geht. Mein Roman bei Scribd fängt auch nicht mit Vögeln an. Okay, ein bisschen Sex ist drin, aber das zählt nicht. Überwiegend wird nicht zu beginn gevögelt, aber Sex kommt häufig vor. Es passt imho zum Thema, denn Sex und Horror gehen imho Hand in Hand.
Christoph Schwarz ist selbst nicht schwul, sondern in einer Dreiecksbeziehung mit einer Hexe der Alten und einer Dunkelelfe - sie haben nun ein großes Bett im Schlafzimmer auf der Burg.
Schwul ist hingegen der Pressesprecher Rafael, der jedoch nur eine Nebenrolle hat. Sexszenen zwischen ihm und seinem Lover gab es noch nicht, was aber eher daran liegt, dass sich das nicht ergeben hat. Sex ist bei mir kein Selbstzweck, sondern unterstreicht entweder die Beziehungen meiner Hauptpersonen zueinander oder es geht um die Urkraft der Sexualität.
Den ersten Schwulensex hatte ich im letzten Chris Schwarz, aber der endete tödlich für einen der Beteiligten und wurde auch nur rückblickend geschildert. Aber es wird Schwulensex geben, vermutlich in einem Zwischenspiel (oder in einer Novelle) in diesem Band. Das steht bereits seit der Planung für den Band fest, die Story wird in Karlsruhe spielen.