Leseprobe "Die Schatzjägerin 12"
Laute Musik schallte Jaqueline entgegen, als sie den El Diablo betrat. Sie kannte die Spelunke wie ihre Westentasche. Zum einen war dies ein Ort für Schatzjäger, Abenteurer und deren Kunden. Jack hatte hier einige Geschäfte abwickeln können. Mehr als das hatte ihr diese Mischung aus Spielhölle, Bordell und Kneipe aber auch geholfen, ihren angestauten Frust abzubauen, nachdem man sie in Libyen folterte und vergewaltigte. Bulldozer hieß ihr damaliger Gegner, den sie im Ring des El Diablo so lange verprügelte, bis dieser die Besinnung verlor.
Das Preisgeld von 500 Bucks war ihr dabei egal gewesen. Ihr war es um etwas sehr viel Elementareres gegangen.
Als den Schuppen nun betrat, wollte sie etwas gänzliches Anderes. Gerüchte und vage Hinweise hatten sie nach Bolivien geführt. Nicht viel, dünn, wie man so schön sagt, aber dick genug, um eine Maschine nach La Paz zu nehmen und sich bei Nacht in eine der schlechtesten Gegenden überhaupt zu begeben.
Jaqueline hatte ein klares Ziel vor Augen, als sie den El Diablo betrat, sich umschaute und schließlich zu einem Ecktisch ging, der abseits des Rings stand. Saß man dort, wurde man kaum gesehen, sah aber im Gegenzug auch kaum etwas. Jaqueline hätte diesen Platz niemals gewählt, denn ihre Feinde waren zahlreich.
Es war eine Frage der Philosophie, wie sie annahm. Die einen setzten sich so, dass sie jederzeit alles im Blick behalten konnten, die anderen verkrochen sich in einer Ecke und hofften darauf, nicht gesehen zu werden.
So wie der Mann, zu dem sie wollte.
Niemand hielt sie auf, während sie den Gastraum durchmaß. Obwohl sie die Blicke von ein paar Typen auffing, die sie mit den Augen auszogen und sich fragten, wie viel sie wohl kosten würde. Dabei waren die Huren im El Diablo mit ihren kurzen Röcken, den engen Tube-Tops und der grellen Schminke deutlich als solche zu erkennen. Noch deutlicher wäre es nur gewesen, hätten sie sich das Sonderangebot des Abends um den Hals gehängt. Blowjob – heute nur 20 US-Dollar.
Ein dünnes Lächeln umspielte Jaquelines Lippen bei diesem Gedanken. Ihr Blick glitt kurz über die langen, braunen Schenkel einer jungen Frau, die sich ganz ungeniert einem Gast anbot. Da sie einen Fuß auf das Bein des Mannes gestellt hatte, konnte sich Jack vorstellen, was der Glückliche zu sehen bekam.
Damals, als sie Bulldozer verprügelte, hatte sie sich ihre eigenen Gefühle im Bezug auf Frauen nicht eingestehen können.
Inzwischen war das völlig anders. Sie genoss den Anblick der wohlgeformten Beine und wünschte sich für einen kurzen Moment, genau das zu sehen, was der Gast sah.
Dann wurde jedoch der Mann am Ecktisch wichtiger und sie schob jeden anderen Gedanken beiseite. Zumal sie die Schnecke der Kleinen ohnehin nur gegen Bares zu sehen bekommen hätte; wenn überhaupt. Und für Sex zahlte sie nicht.
Zumindest nicht hier, in La Paz.
»Mister Mancuso?«, fragte Jaqueline, als sie den Tisch erreicht hatte. »Frank Mancuso, bis vor wenigen Monaten Mitarbeiter der Agency?«
»Wer will das wissen?«, erwiderte der Angesprochene. Dabei schaute er auf und musterte Jaqueline aus wässrig blauen Augen. Nach ein per Sekunden verzog er verächtlich den Mund. Seine Zähne waren Gelb vom Nikotin, ebenso seine Finger. Eine Alkoholfahne wehte Jaqueline entgegen, als er ausatmete. Nicht genug, als dass er betrunken gewesen wäre. Nicht einmal angeheitert.
Jack wusste, was den Mann hierher getrieben hatte. Und sie wusste, was er wollte.
Vergessen.
Er war ein desillusionierter Bastard, der sich in seinem Leben die Scheiße dieser Welt hatte ansehen müssen. Szenen, von denen die meisten Menschen nicht einmal wussten, dass sie sich in irgendeinem Gott verdammten Winkel dieser Welt abspielten.
Etwas nicht zu wissen konnte ein Segen sein.
»Verschwinde wieder, Süße. Geh zurück, wo immer du herkommst, und lass mich in Ruhe.« Seine Stimme klang müde.
»Das kann ich nicht.« Jaqueline setzte sich, legte das Bild von Yehoshua Rokach auf den Tisch und deutete darauf. »Du kennst ihn. Ich will wissen, wo er ist.«
»Willst du, hm?« Mancuso stieß ein leises Lachen aus. »Du hast wirklich Chuzpe. Kommst hierher in diesen Laden, setzt dich an meinen Tisch und fragst mich, wo du meinen Freund Yeho finden kannst.« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich gehe jetzt pinkeln. Wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden. Wenn nicht, wird es sehr ungemütlich für dich.«
Jaqueline schaute dem Mann nach. Sie musste ihren Oberkörper nach hinten biegen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Sie wartete, bis die Toilettent?z
Hier scherte sich niemand darum, ob jemand zusammengeschlagen oder erschossen wurde. Das war gut, so lange man jener mit der Pistole war. Schlecht, wenn die Mündung auf einen gerichtet wurde.
Gestank waberte durch den schmuddeligen Raum. Links neben der Tür befanden sich zwei Waschbecken mit tropfenden Hähnen, rechts hingegen führte ein Durchgang zu den Pinkelbecken und Kabinen.
Jaqueline sah Mancuso an dem mittleren Pissoir stehen, eine Hand im Schritt. Er kümmerte sich nicht darum, dass jemand kam. Er hörte nicht einmal auf, einen alten, amerikanischen Countrysong zu summen, als die Agentin langsam zu ihm ging. Ihre Schritte hallten zwischen den gekachelten Wänden wider.
Einen Moment hielt Jaqueline noch inne, dann wühlte sich ihre Hand in das schüttere Haar des Mannes.
Kurz darauf donnerte sie den Kopf des Ex-Agenten gegen die Wand. Blut spritzte auf, ein lauter Schrei drang aus dem Mund des Mannes.
Jaqueline setzte sofort nach und holte Mancuso mit einem Fußfeger von den Beinen.
»Hör zu, du Wichser«, zischte sie, »ich bin nicht nach La Paz gekommen, um mir von dir irgendeine Scheiße gefallen zu lassen. Mir ist egal, was du alles gesehen, getan oder wen du getötet hast. Meinetwegen kannst du dein persönliches Elend im Alkohol ersäufen. Aber erst, nachdem du mir Rede und Antwort gestanden hast.«
»Shit, was bist du denn für eine Schlampe?«, rief Mancuso. Er presste seine Hand auf die noch immer blutende Stirn, während er gleichzeitig auf die Beine kam. »Hältst dich für eine ganz Harte, oder?«
»Hart genug für dich. Also noch einmal – wo finde ich Yehoshua Rokach?«
Mancuso schüttelte sich. Doch dann, schneller als Jaqueline reagieren konnte, versetzte er ihr einen Schlag. Seine Faust traf ihre Lippen, und schon prallte sie gegen die Wand.
Sofort setzte Mancuso nach. Trotz seines Alters war er erstaunlich schnell, wie Jaqueline feststellen musste. Noch bevor sie sich von dem Hieb erholt hatte, war er bei ihr. Sein Knie kam in die Höhe und traf ihren Magen.
»Ich weiß nicht, wer dich geschickt hat. Und ich weiß auch nicht, was du elende Fotze denkst, mit wem du es zu tun hast. Aber so schnell ...«
Jaqueline, die eingeknickt war, reagierte. Ihre Hand schnellte vor und schon hielt sie die Hoden des Mannes umklammert. Ein kurzer Druck, und seine Augen wurden groß.
»Ich bin keine Fotze«, rief Jaqueline verärgert. Sie quetschte die Eier des ehemaligen CIA-Agenten, stieß dann ihren Kopf vor und brach ihm die Nase. Anschließend drückte sie ihn vor sich weg, ließ einen Spin-Kick folgen und fegte Mancuso damit in eine der Kabinen.
Dort sackte er auf die Kloschüssel.
Rasch folgte ihm Jaqueline, schloss die Tür und zog ihr Messer, welches sie wie stets im Schaft ihrer Stiefel mitführte.
»Eine gute Freundin von mir hat einen sehr weisen Spruch, den sie in solchen Situationen gerne anwendet.« Sie griff nach der Hand des Mannes und drückte sie gegen die Wand. Da Mancuso noch immer benommen war, zeigte er keine Gegenwehr. »Du hast zehn Finger, zwei Ohren und eine Nase. Das macht dreizehn Möglichkeiten, mich zu belügen. Beim vierzehnten Mal schneide ich dir etwas ab, das dir wirklich wichtig ist.«
Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, presste sie die Klinge ihrer Waffe in das Fleisch des rechten Kleinfingers. Blut lief hervor, der scharfe Schmerz riss Mancuso zurück ins Bewusstsein.
»Wer bist du?«, fragte er leise. »So kalt, so hart ... Ich kenne nur wenige Agenten, die so vorgehen.« Er nickte mehr zu sich als zu ihr. »Jaqueline Berger, nicht wahr? Die große, freischaffende Agentin. Ich hätte es mir denken können.«
»Wo ist Yehoshua Rokach?« Jack hatte nicht vor, sich auf eine Unterhaltung einzulassen. Nicht mit ihm, nicht an diesem Ort.
»Er hat dich hintergangen, oder? Hat den gesamten Mossad düpiert und der unfehlbaren Jack Berger ein Artefakt gestohlen. Meine Güte, musst du sauer sein.«
»Du hast noch nichts gesehen.« Sie drückte die Klinge tiefer. Mehr Blut floss hervor.
Mancuso verzog das Gesicht. »Fuck, warum soll ich mich mit seinen Problemen belasten?« Der Ex-Agent wischte sich mit der freien Hand Blut aus dem Gesicht. Es lief aus seiner Nase und aus einer Platzwunde am Kopf. »Er ist Gast von Señor Gonzales.«
»Emilio Gonzales, einer der Bosse des Tijuana-Kartells?«
»Viel Spaß, Süße. Versuch mal, dem die Nase zu brechen. Das wird ein Spaß. Am Ende pisse ich in deinen toten Schädel.«
»Vielleicht pisst bald jemand in meinen toten Schädel, aber du bestimmt nicht mehr.« Jaqueline wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Ließ sie Mancuso laufen, rief dieser seinen guten Freund Yeho an und sie schaute in die Röhre.
Hier ging es nicht nur um ein Artefakt. Hier ging es um das Leben ihrer Freunde. Und auch um ihren Stolz, wie sie zugeben musste.
Mancuso begriff, was sie mit diesem Satz meinte. Er wollte noch reagieren, kam aber nicht mehr dazu. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern setzte Jaqueline das Messer ein. Eine fließende Bewegung, mit der sie die Klinge tief in die Brust des Mannes trieb, exakt dort, wo sein Herz saß.
Mancuso riss die Augen auf, sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Jack hielt die Klinge und den Mann, während dieser einen letzten, flachen Atemzug tat. »Tut mir leid«, wisperte sie dem Sterbenden ins Ohr. »Du weißt ja, wie das ist.«
Sie rechnete damit, eines Tages auf genau diese Weise zu sterben. Jemand würde schneller sein, oder stärker. Ein Messer, eine Kugel oder Gift, und ihr Leben endete auf einer widerlichen Toilette, irgendwo in einem kleinen, korrupten Land.
Das war das Spiel, auf das sie sich eingelassen hatte. Jack war nicht minder desillusioniert wie Mancuso. Jeder in dieser Branche war das.
Sie hatte lediglich das Glück, bisher schneller oder stärker gewesen zu sein als jene, mit denen sie sich anlegte.
Aber irgendwo gab es jemanden, der ihre Glückssträhne beenden würde. Irgendwann, morgen oder in ein paar Jahren, hier oder in China, Afrika, London.
Sie fürchtete den Tod nicht. Auf der anderen Seite gab es ohnehin mehr Freunde als auf dieser und ihr eigenes Leben bedeutete ihr nichts mehr.
Genau das machte sie so gefährlich, gleichzeitig aber auch begehrenswert für ihre Kontaktpersonen bei den Geheimdiensten ... und für den Mala’ak.
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