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Ein Schnippsel SF
[...]
Planet L-27 ist ein Furz irgendwo im Weltall. Schon die Zahl gibt an, wie unbedeutend er selbst für die SMC war. Zwei Jahre lang wurde hier Dexterium abgebaut, dann verschwanden die unterirdisch arbeitenden Heuschrecken wieder, um einen anderen Minenplaneten auszubeuten.
L-27 eignete sich nicht für Terraforming, denn abgesehen von zwei Sonnen, die ihn im Laufe der Zeit in eine Wüste verwandelt hatten, war der Planet zur Besiedelung geeignet.
Es gab nur keinen, der freiwillig dorthin gezogen wäre. Landwirtschaft wäre nur mit erheblichem Aufwand möglich gewesen, Bodenschätze jenseits des Dexterium 5 existierten nicht.
Ein Ort also, der bald nach seiner Aufgabe durch die SMC der Vergessenheit anheim gefallen wäre.
Hätte sich nicht ein Arbeiter dazu entschieden, mit einem Jahresvorrat an Nahrung und Getränken sowie einem alten, aber funktionstüchtigen Shuttle auf L-27 zu verbleiben, um dort sein Glück zu machen.
In den ersten Wochen funkte er unermüdlich in den Hyperraum, dass es bei ihm die billigsten Drinks in diesem Sektor gäbe, keine Sicherheitskräfte und nur ein Gesetz – sich amüsieren zu müssen.
Es dauerte etwas, bis zwei ganz verschiedene Besuchergruppen auf L-24, den Ringo inzwischen in einem Anfall kreativen Wahns Ringo’s Planet getauft hatte, landeten.
Zum einen Glücksjäger auf der Suche nach dem, was ihnen Ringo via Funk versprochen hatte, zum anderen aber Huren, die hier einen schnellen Kredit machen wollten.
Beides ergänzte sich vortrefflich, und binnen eines Jahres war Ringo nicht nur richtig reich, sondern sein Planet gehörte zu jenen Orten, von denen man in dunklen Gassen munkelte. Warst du schon einmal auf Ringo’s Planet? Der hat die schärfsten Weiber und die billigsten Drinks im ganzen, beschissenen Universum. Die besorgen es dir da, dass dir Hören und Sehen vergeht.
Prostitution, Glücksspiel und Alkohol – die Grundpfeiler, die den Wilden Westen einst populär machten, verhalfen auch Ringo zu seinem Glück. Von Anfang an schwebte ein Hauch von Wildwest über L-27.
Der Erfolg eines einzelnen Mannes, vor allem aber das dort fließende Geld aus jedem Winkel des Alls machte eine besondere Gruppe auf Ringo’s Planet aufmerksam – Die Loom-Vereinigung.
Die meisten Regierungen, unter anderem die SMC sowie der Rest dessen, was einst die Kolonialverwaltung war, sehen in Loom die Geißel der Menschheit, den Schrecken des Universums sowie eine Plage, die es auszumerzen gilt. Sie werden nicht müde, Lügen über Loom zu verbreiten, sie für all das Übel im All verantwortlich zu machen, das den Menschen widerfährt und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit deren endgültige und nachhaltige Vernichtung zu fordern.
Dabei ist Die Loom-Vereinigung nichts von alledem. Sie ist ein wenig wie Robin Hood, wenn man sich die Strumpfhosen und die Feder am Hut wegdenkt. Sicher, es gibt häufig Attacken auf SMC-Stationen und -Schiffe. Und ja, die Kolonialverwaltung erklärte Loom den Krieg, Händler weigern sich, von Loom kontrollierte Sektoren anzufliegen und so mancher sorglose Kapitän eines Fracht-Raumers bezahlte seine Unbesonnenheit mit der Hälfte seiner Ladung.
Aber Loom ist nicht die Geißel des Universums. Wie auch, denn den Job hat längst die SMC übernommen. Zumal Loom für die Armen und Schwachen eintritt, ihre Beute mit jenen teilt, die von jedem anderen ausgebeutet wurden und sich auch nicht scheut, bei Unabhängigkeitskriegen auf der Seite der Rebellen zu kämpfen.
Ringo zeigte sich im ersten Moment wenig angetan von der Idee, einen Teil seiner Einnahmen an Die Loom-Vereinigung zu stiften. So wenig wie ihm der Gedanke gefiel, Loom die alten Minen zu überlassen, damit die Vereinigung dort einen Stützpunkt errichten konnte. Letztlich erkannte er jedoch die Vorteile dieser Übereinkunft. Loom gewährte ihm Schutz, warb für seinen Planeten und sorgte dafür, dass weder die SMC noch Universal Media oder ein anderer Konzern neidisch auf ihn wurden. Im Gegenzug erfüllte er Looms Wünsche.
Es kostete mich drei harte Tage, diesen Deal für die Vereinigung auszuhandeln, doch letztlich schlug Ringo ein.
Die Stärken von Loom liegen darin, dass ihr ganz normale Menschen dienen; Frauen und Männer, Softies, harte Kämpfer, ehemalige Sicherheitsbeamte oder Piloten, die ein Shuttle zur Not auch durch ein Nadelöhr fliegen würden. Wir beschäftigen Wissenschaftler und Mathematiker, Erfinder, Spinner und Putzkräfte.
Viele von uns haben ein Leben außerhalb von Loom.
So wie ich zum Beispiel.
Das Standard-All-Jahr hat 400 Tage. Davon arbeite ich maximal 330 Tage, schließlich will ich mich nicht zu Tode schinden. Von diesen 330 Tagen diene ich etwa 100 Tagen Loom, den Rest investiere ich in den Versuch, auf möglichst bizarre Weise zu großem Reichtum zu gelangen. Etwas als Kopfgeldjägerin, als Problemlöserin, als Kurierin für besonders gefährliche Fracht oder als Bodyguard. Jobs eben, die einem eher einen Laserschuss zwischen die Augen einbringen, als dass man durch sie reich wird. Jobs aber auch, die mir Spaß machen, die meine Sucht nach Adrenalin befriedigen oder schlicht meine Eltern auf die Palme bringen; der wohl größte Lohn, wenn man es genau nimmt.
III
Eine Datenbrille schützt meine Augen, während ich das Schiff verlasse, da sie sowohl grelles Licht abhält, Restlicht verstärkt und zudem Daten meines PDA anzeigt, wenn ich dies wünsche. Außerdem fungiert sie als Headset für das Funkmodul des Handheld. Einst war eine solche Brille Luxus, inzwischen trägt sie nahezu jeder. Die Frage ist nur noch, wie viel Geld man investieren kann oder will.
Meine Brille gehörte wie auch der PDA einem hochrangigen Funktionär der SMC, der sie nun jedoch nicht mehr braucht. Tote benötigen keine Datenbrillen, wie ich mir sagen ließ.
Die Droge, die ich am Abend zuvor genossen habe, ist aus meinem Körper verschwunden. Ich stamme vom Planeten Sequos II, der nicht nur zu 55 Prozent aus Regenwald besteht und das Hauptquartier der Loom-Vereinigung beherbergt, sondern auch Menschen mit einem beschleunigten Metabolismus hervorbringt. Das hat den Vorteil, dass wir kein Fett ansetzen, Drogen und Alkohol rascher verarbeiten und stets ein bisschen wacher wirken, als Menschen von anderen Planeten. Zudem lernen wir früh, uns wie Affen von Ast zu Ast zu schwingen, die höchsten Bäume zu erklimmen oder aus Holz die wundersamsten Dinge zu bauen.
Auf Sequos II aufzuwachsen kann ein Segen sein.
Den Planeten zu verlassen, Insekten, drückende Hitze und Luftfeuchtigkeit hinter sich
zu lassen um wo anders ein zivilisiertes Leben zu beginnen ebenfalls.
Bei meinem letzten Besuch auf Ringo’s Planet kam ich als Gesandte von Loom. Nun betrete ich den Planeten als Lara Summer, Bounty-Hunter. Der Unterschied besteht darin, dass mein Gesicht nicht hinter der Mikropartikel-Maske verschwindet, die mir ein völlig anderes Aussehen verleiht. Schließlich kann man als Mitglied von Loom nicht einfach so umher laufen, in Shuttles einchecken oder eine Operation durchführen, ohne sich zu maskieren. Mein eher schlichtes Gesicht wird durch die Mikropartikel-Maske ein wenig hübscher, meine Stimme ein Tick rauchiger und meine Retina verwirrt jeden Scanner.
Ohne diese Maske bin ich das Gesicht in der Menge, meine Stimme klingt völlig normal und jeder Retina-Scanner gibt meine korrekten Daten aus.
Mit Maske nenne ich mich zudem Kitten. Okay, es gibt imposantere Namen, aber mir gefiel Kitten besser als etwa Mamba.
Kurz orientiere ich mich. Seit meinem letzten Besuch auf Ringo’s Planet sind ein paar Jahre vergangen. Wäre ich ein notgeiler Glücksjäger, ich hätte mir hier ein Haus gebaut. Da ich aber weder das eine noch das andere bin, zudem nicht dauerhaft für Loom arbeite und darum nicht auf dem Furz stationiert war, musste ich den Planeten nur ein einziges Mal besuchen.
Das reichte mir auch.
Inzwischen hat sich einiges getan.
Der Raumhafen verfügt über ein neues Gebäude, ein Speeder-Verleih bietet Wagen und Hover-Bikes an und große Leuchttafeln machen auf die verschiedenen Etablissements aufmerksam.
Ringo hat geschafft, was nicht vielen Menschen gelingt; quasi im Alleingang aus dem Nichts ein Imperium zu stampfen. Okay, ein bisschen was wird Loom auch dazu beigetragen haben.
Da ich Hover-Bikes nichts abgewinnen kann, leihe ich mir einen Speeder aus, ein zweisitziges Gefährt, mit dem man über jeden Untergrund hinweg gleiten kann. Räder besitzt ein Speeder nicht, dafür kann er problemlos auf 20.000 Fuß steigen, wenn es sein muss. Theoretisch zumindest.
Auf dem Weg zu dem Wagen sehe ich Domino LaFey, die gerade ein Hover-Bike abstellt. Unsere Blicke treffen sich, sie schenkt mir ein kurzes Lächeln. Dann wendet sie sich wieder ab, um zum Gebäude des Hafens zu eilen.
Sie wollte die zweite Kaskade verhindern, schaffte es aber nicht mehr. Viele Menschen sind ihr dennoch ziemlich dankbar. Andere wollen die Hexe brennen sehen.
Ich selbst hatte zweimal Kontakt zu ihr, aber das ist eine andere Geschichte und soll an anderer Stelle erzählt werden.
Mein Speeder ist braun wie der Sand der Wüste, die hier allgegenwärtig scheint. Für jemanden, der von einem Urwaldplaneten stammt, ist die trockene Hitze und die Ödnis schwer zu ertragen. Mit ein Grund, warum es mich nicht hierher zieht.
Die meisten Leih-Speeder haben eine Begrenzung sowohl was die Geschwindigkeit als auch was die Flughöhe anbelangt. In Städten, in denen die Straßen mehrstöckig verlaufen, kann man lässig hundert und mehr Meter empor steigen. Auf einem Planeten wie L-27 hingegen ist dies weder von Nöten noch erwünscht. Zu viele Spinner nutzten die freien Horizonte, um sich auszutoben. Dass sie die Speeder dabei zu Schrott flogen, interessierte sie nur, wenn der Schleudersitz versagte. Ansonsten schauten sie zu, wie die Flitzer explodierten, und meldeten den Verlust anschließend den Rent-a-Speeder-Firmen. Sollten die sich doch mit den Versicherungen herumschlagen.
Schon als ich mich hinter das Steuer klemme, fällt mir der Aufkleber mit den entsprechenden Hinweisen auf. Fünfzig Fuß Höhe, maximal 120 Meilen in der Stunde.
Zu wenig, wie ich finde.
Darum aktiviere ich meinen PDA, verbinde ihn mit dem Bordcomputer und speise ein Virus der Loom-Vereinigung in die Elektronik des Speeders ein.
Es dauert nur Sekunden, bis mich eine warme, weibliche Stimme wissen lässt, dass alle Beschränkungen aufgehoben sind. Man muss kein Genie sein, um dieses Virus nutzen zu können. Um es zu programmieren schon, aber dafür haben wir unsere Experten.
Kaum liegt das Gelände des Raumhafens hinter mir, als ich auch schon den Energiehebel nach vorne drückte und das Gefährt auf 230 Meilen beschleunige. Zudem ziehe ich es auf 400 Fuß. In dieser Höhe herrscht kein Verkehr, niemand torkelt überraschend auf die Fahrbahn und kein Speeder mit einer Panne parkt ungünstig auf der rechten Fahrspur. Die Luft gehört mir, dank des kleinen Schädlings im System.
48 Stunden hält er sich dort, dann sind alle Beschränkungen wieder in Kraft. Spurlos, ohne dass jemand auf Loom tippen könnte.
Unter mir erstreckt sich die Ödnis, doch schon kann ich die Ausläufer von Ringos Siedlung erkennen. Häuser wachsen in die Höhe, als seien sie aus dem Nichts gewachsen. Leuchtreklame, die auch am Tag nicht abgeschaltet wird, lockt die Besucher zu den Bordellen und Spielhallen, zu den Kneipen, Hotels und Kasinos. Auch zwei Drogenhöhlen haben inzwischen aufgemacht und versprechen einen nahezu himmlischen Rausch.
Mir reicht die letzte Nacht. Abgesehen davon, dass die Flasche mit Laudanum noch fast voll ist, schadet übermäßiger Konsum meinen Reflexen. Das wäre fatal.
Wie ein Raubvogel auf sein Opfer so stoße ich auf die Straße hinab, bremse gleichzeitig und stoppe schließlich vor dem größten und ältesten Gebäude im Main Center.
In großen Lettern verspricht der Name nahezu legendäre Vergnügungen. Ringo’s Number 1. Ein Schild weist darauf hin, dass hier sämtliche Perversitäten und Lustbarkeiten angeboten werden, die sich der Gast nur vorzustellen vermag.
Da die Phantasie des Menschen nahezu unbegrenzt ist, vor allem wenn es um Sex und Ausschweifungen geht, darf dieses Ankündigung bezweifelt werden.
Die Hitze, die hier inmitten der Siedlung herrscht, treibt einem augenblicklich den Schweiß auf die Stirn. Nahe dem Raumhafen war es deutlich kühler, da die großen Gebäude Schatten werfen und zudem große Gebläse dafür sorgen, dass die Straßen und Wege frei von Sand bleiben. Sie sorgen für einen künstlichen Wind, der zusätzlich die Wärme vertreibt.
Der Speeder ist natürlich klimatisiert. Kaum öffnet man die Tür, schaltet sich die Automatik ein und bringt das Innere in Sekunden auf erträgliche Temperaturen.
Hier aber, zwischen den Etablissements, dem heißen Wüstenwind ausgesetzt, gibt es keine Erfrischung. Hält man sich zu lange im Freien auf, verdorren selbst die letzten Gehirnzellen.
Rasch betrete ich das Ringo’s Number 1 und schaue mich um. Laut PDA, der automatisch die aktuelle Ortszeit anzeigt, ist es auf L-27 kurz vor zwölf am Mittag – nur noch wenige Minuten bis High Noon.
Entsprechend leer ist der Schuppen. Auf einer Bühne tanzt, wenig motiviert, eine Rothaarige. Sie verbiegt sich nicht, sie achtet nicht auf den Takt und geht nicht auf den Wunsch des einzigen Zuschauers ein, der ihr überhaupt so etwas wie Interesse entgegen bringt.
An der Theke hocken ein paar Männer und unterhalten sich bei einem Drink, an einem großen Ecktisch sitzt Ringo, rechts und links ein fast nacktes Mädchen, den Blick starr auf das Display eines Monitors gerichtet.
Er schaut nur kurz auf, als ich eintrete, dabei einen Vorhang mit klirrenden Kunstperlen beiseite schiebe und so ein bizarres Geräusch verursache, das die Musik aus den Boxen übertönt, nicht aber stören wirkt.
Unsere Blicke treffen sich, er erkennt mich nicht und widmet sich kaum zwei Sekunden später auch schon wieder den Daten auf seinem Screen.
Ich hingegen schaue mich suchend um. Schließlich ist das kein Besuch zur Sommerfrische, sondern ein Job.
Boyle, wo steckst du?
Laut meinen mühsam gesammelten Informationen ist Ringo’s Number 1 der bevorzugte Aufenthaltsort meiner Zielperson.
Viele Verbrecher glauben, auf diesem Planeten sicher zu sein. Aber das ist ein Trugschluss, denn hier würden die Typen auch ihre Großmutter verkaufen, brächte ihnen das etwas Kohle ein. Man kann nicht als Kopfgeldjägerin arbeiten, ohne auf L-27 einen Informanten sitzen zu haben. Wer das ist, spielt keine Rolle, denn ich möchte ihn nicht in Gefahr bringen. Auch jetzt sehe ich ihn an der Theke sitzen, doch weder begrüßen wir einander, noch schaut er länger als eine Sekunde rüber zu mir. Mich zu ignorieren wäre ebenso auffällig wie ein zu langer Blick.
Langsam durchmesse ich den Gastraum. Boyle hatte ein paar Wochen Zeit, sich Freunde zu machen. Das macht die Situation gefährlich, fast schon unübersichtlich. Auch wenn ich nicht die bekannte Kopfgeldjägerin bin, die dreimal im Monat in den Shows von Universal Media auftaucht und dennoch ihren Job macht – wie zum Beispiel Diana McLéar – könnte Boyle mein Gesicht kennen. Und mit ihm auch den Grund, hier auf L-27 aufzukreuzen.
Ein, zwei Kumpels, strategisch verteilt, und schon gerate ich ins Kreuzfeuer. Niemand weint einer toten Kopfgeldjägerin hinterher. Abgesehen von meinen Eltern natürlich, die es ohnehin schon immer wussten. Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen. Sie erschießen dich oder du wirst aus der Luftschleuse eines Raumers geblasen. Um ehrlich zu sein – dieser Verdacht kam mir auch schon.
Es dauert einen Moment, bis ich meine Zielperson entdecke. Wobei dies nicht an meinen Augen oder mangelnder Aufmerksam lag, sondern schlicht daran, dass Boyle erst jetzt vom Klo kommt, sich dabei den Hosenstall schließt und dümmlich grinst, als er hinüber zu der noch immer uninspiriert tanzenden Hure schaut, die inzwischen auf dem Boden lümmelt, die Beine aber nicht spreizt, sondern lediglich mit den Füßen zum Takt wippt. Noch ein bisschen unmotivierter, und sie kann als Statue durchgehen.
Boyle schlurft zu einem Platz vor der Bühne und lässt sich dort schwer auf den Stuhl fallen. Das Möbelstück ächzt unter dem plötzlichen Gewicht, die Beine geben etwas nach.
Meine Zielperson ist nicht fett, aber massig. Ein mit Muskeln bepackter Arbeiter, dessen haare vom Staub des Dexterium 5 bereits ergraut sind. Er hat schwielige Hände und mehrere Narben im Gesicht; teils durch Steinschlag, teils durch Fäuste, die ihm bei Kämpfen zugesetzt haben.
Auf seiner Schulter, aber dies ist durch das weite, schwarze Shirt verdeckt, das er trägt, befindet sich ein Tattoo in Form eines weiblichen Unterleibs mit den dazu passenden, weit gespreizten Schenkeln. Sein Geschmack ist ungefähr so verfeinert wie der eines altrianischen Mistkäfers, sein gesamtes Auftreten so plump, dass der Boden unter seinen stampfenden Schritten beben und jede Frau im Umkreis eines Parsecs laut schreiend fliehen müsste.
Aber er hat etwas, das zumindest jedes Mädchen in diesem Schuppen gefügig macht – nämlich Geld. Da die Frauen hier allesamt Huren sind und als solche auf die kleinen und großen Scheinchen stehen, liegen sie Boyle zu Füßen. Schließlich hat der die Gehälter eines gesamten Minenplaneten mitgehen lassen, als er seinen Vertrag mit der SMC kündigte. Auch wenn sich mein Kontaktmann nicht sicher war, ob ein fickt euch, ihr Wichser, als ordentliche Kündigung eines Vertrages gelten kann.
Noch einmal, gleitet mein Blick umher. Niemand schenkt mir mehr Beachtung, keiner kümmert sich um mich oder Boyle. Auch nicht als ich langsam zu seinem Tisch gehe, dabei eine leere Bierflasche von einem inzwischen verwaisten Tische nehme und sie meiner Zielperson, kaum dass ich hinter ihr stehe, kräftig über den Schädel ziehe.
Das Glas klirrt, Boyle stößt einen schmerzerfüllten Schrei aus und Ringo springt auf, als habe ihn eine Wüstenspinne gestochen.
»Ich bin Bounty-Hunter und habe einen gültigen, universellen Haftbefehl für diesen Mann«, rufe ich laut, noch ehe mich jemand für eine eifersüchtige Ehefrau oder eine Verbrecherin halten kann. Mich jetzt anzugreifen wäre ein Verbrechen, das einem den Galgen einbringt.
Um meinen Worten Nachdruck zu verliehen ziehe ich sowohl meine Laser-Pistole als auch ein paar Handschellen.
Boyle, der vor mir auf dem Stuhl sitzt und Mühe hat, sich aufrecht zu halten, stößt ein unartikuliertes Geräusch aus. Mich wundert, dass ihn der Schlag nicht ausgeknockt hat. Offenbar ist er hart im Nehmen; härter, als ich es für möglich gehalten hätte.
Um kein Risiko einzugehen nutze ich seine Benommenheit, schubse seinen Oberkörper nach vorne und beige die Arme zurück.
Schon klicken die Handschellen.
»Ich nehme ihn nun mit.« Noch immer behalte ich den Laden im Auge. Aber keiner der Anwesenden rührt sich. Viele von ihnen werden meiner Einschätzung nach froh sein, dass es Boyle trifft, nicht sie. Ein Retina-Scan bei den Besuchern von L-27, und die interplanetare Fahndungsliste würde drastisch schrumpfen.
»Komm schon hoch, Boyle.« Mit diesem Satz zerre ich den Mann in die Höhe. Er wiegt gefühlt das Doppelte von mir; ihn schleppen zu müssen wäre kein Vergnügen. So gesehen ist es ein Segen, dass er nicht bewusstlos wurde, als ihn die Flasche traf.
Für einen kurzen Moment gebe ich mich dem süßen Glauben hin, es sei ganz einfach gewesen. Doch plötzlich wird die Tür des Etablissements aufgestoßen, ein Mann mit einem Schnellfeuergewehr wirft sich in den Gastraum und schon erklingt der hässliche, harte Rhythmus der Waffe.
Tack-Tack-Tack.
Drei oder vier Kugeln treffen Boyle. Sie dringen in seine Brust und in seinen Magen ein, werfen ihn zurück und lassen ihn elend krepieren, während ich mich mit einem gestreckten Sprung in Sicherheit bringe, aus der Deckung heraus schieße und damit den Killer zwinge, seinerseits in Deckung zu gehen.
Zeit, eine der kleinen, fast unscheinbaren Granaten zum Einsatz zu bringen, die ich stets bei mir trage.
Die Sprengladung beschreibt einen anmutigen Bogen, während sie ihrem Ziel entgegen fliegt. Noch während sie zu Boden geht, will der Killer fliehen, da er das Unheil erkennt, das sich ihm da auf dem Luftwege nähert.
Weit kommt er nicht.
Zum einen erwischt ihn mein Schuss in Hüfthöhe und lässt ihn mit einem gequälten Schrei zu Boden gehen, zum anderen detoniert kurz darauf die Granate. Die Explosion zerlegt den Tisch, hinter dem der Mann Schutz gesucht hatte, und auch den unteren Teil seines Körpers bis hinauf zur Lendenwirbelsäule.
»Mein Laden!«, schreit Ringo. Wie alle anderen im Gastraum auch suchte er Deckung, als die Schießerei begann. Jetzt steht er vor mir wie ein Racheengel. »Du hast meinen Laden zerlegt.«
Er will nach mir greifen, hält aber im letzten Moment inne und neigt den Kopf zur Seite. Sein Blick frisst sich in meinen, dann weicht er zurück. »Ach, scheiß drauf, so groß ist der Schaden gar nicht.«
Shit, er hat mich erkannt. Mit einem knappen Nicken gehe ich zu Boyle, der sein Leben in diesem billigen Laden ausgehaucht hat. Er liegt in seinem Blut und nun muss ich ihn doch zum Speeder schleifen.
Das kotzt mich allein darum schon an, weil er noch schwerer ist, als er aussah. Zudem muss ich ihn in den Speeder wuchten, um ihn zum einzigen Ort auf ganz L-27 zu bringen, der über eine gesicherte und absolut einwandfreie Subraum-Funkverbindung zu den Behörden auf Prime-Central verfügt, dem neuen Sitz dessen, was von der Regierung übrig blieb und die Heimat des Gerichts, das mich mit der Jagd auf Boyle beauftragte. Ich muss zu Außenposten L-27 der Loom-Vereinigung.
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