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Wo wir gerade bei Hitler sind ... Stahlfront

Abgelegt unter Literatur
Montag, 4. Februar 2008

Ende 2007 erschien bei HJB der Pilotroman einer neuen Serie mit dem Titel Stahlfront. Dabei handelt sich es um Military-SF aus deutschen Landen, und dieses Buch sorgte doch für einige Aufregung im Fandom. Allein im Forum von SF-Fan.de ging es heiß her, 1197 Beiträge umfasste der inzwischen geschlossene Thread zu dieser neuen Serie.

Die Story an sich ist recht simpel. Die USA und China beginnen einen atomaren Krieg, doch noch ehe die Raketen ihre Ziele treffen können, werden sie von einer geheimen Macht abgefangen. Diese geheime Macht sind Nazis, die es nach dem Zweiten Weltkrieg an den Nordpol verschlug. Dort entwickelten sie ihre Technik, denn sie wussten - die Erde wurde von Aliens unterwandert, die nach der Weltherrschaft greifen.
Schon der Titel lässt dabei erahnen, in welche Richtung Stahlfront geht und so zieht der Autor kräftig vom Leder, bemüht massenhaft Klischees, zeigt sich Ausländern gegenüber eher negativ eingestellt und lässt nichts aus, um legal ein bestimmtes Weltbild darzustellen, das mit Vorurteilen, Ängsten und eben den bereits erwähnten Klischees arbeitet.
Die Reaktionen in den Foren und Blogs sind teils entsprechend deutlich. Sie unterstellen dem Verlag und dem Autor einen braunen Anstrich, verdammen das Werk und ergehen sich in Hohn, Ablehnung, Hass oder Unverständnis. Das gesamte Kaleidoskop politisch korrekter Regungen ist vorhanden.

Aber ist das auch gerechtfertigt?

Ich habe mir die Leseprobe ebenfalls auf meinen Rechner geladen und mir den Text angeschaut. Doch noch ehe man auch nur das erste Kapitel kennt, fallen einem zwei Dinge auf. Zum einen der bizarre Name des Autors, zum anderen dessen noch bizarrerer Lebenslauf. So nennt sich der Autor Torn Chaines, lebt angeblich in einer Blockhütte im Wald irgendwo im Norden der USA und fand für das Buch keinen Verleger, weil es so provokant sei.
Mit dem Namen Torn Chaines drückt der Schreiber bereits aus, worum es ihm geht, denn dieser beiden Worte bedeuten zerrissene oder auseinander gerissene Ketten. Es geht ihm in seinem Roman darum, Ketten zu sprengen. Welche das sind, wird spätestens im ersten Kapitel des Romans deutlich - jene der Political Correctness. Die Vita des Mannes ist bereits so haarsträubend und überzeichnet, dass spätestens jetzt jedem Leser klar sein muss, wo der Weg des Buches hingeht – in Richtung Satire.
Hat jemand noch Zweifel, wird er bereits auf den ersten Seiten eines Besseren belehrt. Die Action ist fulminant und in ihrer rüden Darstellung völlig überdreht. Es wird kein Klischee ausgelassen, die Sprache der vermeintlichen Ausländer passend zu Erkan-und-Stefan-Witzen widergegeben und die »Helden« derart blond und schön dargestellt, dass man sich glatt in sie verlieben könnte.

Doch das Ziel des Autors ist es nicht, lediglich Klischees und Vorurteile auf die Schippe zu nehmen. Im Gegenteil – er benutzt seinen Text, um die Nerven der Menschen zu treffen. Nach außen hin geben wir uns alle liberal, freundlich gegenüber Ausländer und verachten die Neonazis nach Kräften.
Aber mein Verdacht ist, dass viele unbescholtene Bürger in ihren Herzen Ablehnung und Vorurteile bewahren und nur darauf warten, dass sie sich bewahrheiten.
Wie bereitwillig haben viele genickt, als die Politiker eine Abschiebung für kriminelle Ausländer forderten – und dies erst vor ein paar Wochen? 38 Prozent der Wähler haben Koch trotz seines umstrittenen Wahlkampfs gewählt. Sicher, es gab Verluste. Doch diese ausschließlich auf den Wahlkampf zu schieben, wäre blauäugig. Und hat sich nicht die Kanzlerin sofort zu Wort gemeldet und gesagt, Koch habe einen Regierungsauftrag vom Volk erhalten? Und dies, in dem er die Ängste der Menschen schürte? Wie sieht denn dieser Auftrag aus?
Schüren nicht die Politiker aus Eigennutz ständig die Angst vor Ausländern, wenn sie die Terror-Gefahr beschwören? Die Politiker wissen sehr genau, wie sie verborgene Ängste und Vorurteile wecken. Sie nutzen sie, um die Überwachung des Volkes voranzutreiben.
Und wer hat noch nie vom »Quotenausländer« gehört oder Witze über Ausländer, in denen Klischees bemüht werden?
Viele geben sich liberal und ausländerfreundlich, verstecken ihe Ängste und Vorurteile in ihren Herzen und machen sie so zu Mördergruben. Torn Chaines konfrontiert den Leser mit genau diesen Gedanken und Gefühlen. Er betreibt keine Neonazi-Propaganda, sondern spielt mit den heutigen, den modernen Vorurteilen. Er zwingt die Leser, sich ihren eigenen Empfindungen zu stellen. Der Leser fühlt sich ertappt, wenn er einem der Charaktere zustimmt. Er will es nicht, er will dem Autor mit Vehemenz widersprechen. Er will die Schuld empfinden, die wir bei solchen Gedanken zu empfinden haben, er will sich ihrer schämen. Und eben das gelingt dem Leser nicht so reflexartig, wie er es gerne hätte. Das zufriedene Gefühl bestätigter Vorurteile, das wir bei den Übergriffen auf Rentner hatten, rächt sich hier.
Dem Autor die Verbreitung von rechtem Gedankengut vorzuwerfen wäre ebenso falsch wie Bret Easton Ellis vorzuwerfen, er habe in »American Psycho« seine wahre Mordlust ausgelebt. Auch Ellis spielt mit den voyeuristischen und gewalttätigen, aber verdrängten Empfindungen seiner Leser, führt ihm seine eigene, morbide Lust am Grauen vor Augen. Das Thema ist ein anderes, die Mechanismen sind gleich. Das bigotte Verhalten der Menschen wird enttarnt, wenn auch nur vor dem Leser selbst.

Die Frage, die sich angesichts dieser Thematik stellt ist natürlich, ob das Buch nicht von der rechten Seite als Propaganda missverstanden wird. Und zweifelsohne kann es das, denn Anhänger von braunem Gedankengut haben nicht die Intelligenz, die Satire, den Zweck des Textes zu erkennen. Sie sehen nur das Vordergründige, freuen sich und schicken dem Verlag vermutlich bald Glückwunsch-Mails mit einem zackigen Heil Hitler als Unterschrift.
Wäre es also angeraten, aufgrund dieser Gefahr das Buch besser nicht erscheinen zu lassen? Oder es zurückzuziehen, so wie es Die Ärzte einst mit dem Song »Eva Braun« machten, nachdem ein paar Typen bei einem Konzert die Hand zum Hitlergruß erhoben. Die Ironie war den Rechten verborgen geblieben, sie verstanden das Lied auf ihre, beschränkte Art.
Sollte man »Stahlfront« also lieber nicht erscheinen lassen? Doch, man sollte. »Missbrauch hebt den Nutzen nicht auf«, wie ein altes, römisches Sprichwort sagt, und der Nutzen eines solchen Buches ist unverkennbar. Zumindest, wenn man sich darauf einlässt und die sich seiner eigenen, gut verborgenen Bigotterie stellt. Wobei die wütenden, höhnischen Reaktionen auf das Werk Ausdruck eines Zorns sein könnten, den die Leser bei der Lektüre empfinden. Schließlich leben wir gut mit unserer Bigotterie, wir wollen keinen Spiegel vorgehalten bekommen. Wir wollen die netten, liberalen Bürger sein, freundlich und gut und edel ohnehin. Da macht uns solch ein Werk natürlich zornig. Offiziell, weil es gegen alles verstößt, was wir glauben und zu denken. Inoffiziell wegen unserer eigenen Enttarnung, unseren eigenen Gefühlen.

Das wird nun niemand zugeben und ich glaube auch, dass all meine Leser sehr viel besser sind. So wie ich natürlich auch eine der Ausnahmen bin, welche die Regel bestätigt. Darum ist es müßig, nun mit Kommentaren zu reagieren, in denen man sich ganz ehrlich von solchen Gedanken und Vorurteilen distanziert. Letztlich muss jeder für sich wissen, ob und wie er denkt, empfindet, eingestellt ist. Dass meine Einstellung weit nach links tendiert, dürfte inzwischen bekannt sein.

Noch ein Wort zu dem Roman an sich – jedoch keine Rezension. Es ist schlichte, einfach gestrickte Mil-SF, die mit einiger Action aufwartet. Der Plot dient als Träger des eigentlichen Ansinnens, so dass man ihm wahrlich keine Finessen bescheinigen kann. Wobei ich kein Experte für Mil-SF bin, die Bücher, die ich bisher gelesen habe, aber auch keine Finessen aufweisen. Sie sind alle gradlinig, martialisch, mal mehr, mal weniger faschistisch und transportieren den Kampf Gut gegen Böse ins All -- fertig. Wahrscheinlich werden sich nun Kenner der Szene die Haare raufen, aber mir bleiben die Feinheiten dieses Genres verborgen. Was ja auch nicht schlimm ist, denn Literatur ist zum Glück vielseitig und jeder findet das, was ihm schmeckt ;-)

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dtarmee / ---
Freitag, 2. Januar 1970
Url: http://www.deutsche-armee.com
Habe das Buch gelesen und bin begeistert . Werde die Tage auch noch eine Rezension schreiben !
Beste Grüße
www.deutsche-armee.com
Shinwatoshi / ---
Freitag, 2. Januar 1970
Url: http://aph-history.de.tl
Hast du ne ISBN-Nummer?

Mich würde der Roman tatsächlich interessieren, nicht weil ich SF mag (was nicht der Fall ist) sondern eher um meinen Ruf (rebellischer Junghistoriker) gerecht zu werden ;)
Kommentar:
Hallo,

du findest alle Informationen auf der Webseite des Verlages, inklusive des gesamten Romans zum kostenlosen Download (ausgewiesen als "Leseprobe lang") auf dieser Seite: http://www.stahlfront.de/