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Eva Herman bei Johannes B. Kerner - Gleichgeschaltete Presse?

Abgelegt unter Allgemein
Samstag, 13. Oktober 2007

Hinweis: Dieser lange Artikel liegt auch als PDF vor und kann hier heruntergeladen werden. Ein Hinweis zu den Rechten findet sich im Dokument.

Man muss es in diesen Tagen immer wieder schreiben, ehe es zu Missverständnissen kommt:

Nein, ich bin kein Nazi, nein, ich sympathisiere nicht mit der rechten Szene und ja, ich denke auch, dass die Nazis Hurensöhne sind und waren.

So weit also der Disclaimer, der immer ein wenig an die Aufdrucke von Zigarettenpackungen erinnert. "RAUCHEN TÖTET!" Schade, dass man ohne solche Hinweise nicht auskommt, um nicht falsch verstanden zu werden. Denn jetzt kommt es ...

Was gestern bei Kerner geschah, war mal wieder ein Lehrstück in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Da wurde also Eva Herman eingeladen, damit sie die Missverständnisse um ihre Person ausräumen kann. Nur, dass Frau Herman wahrscheinlich gar nicht missverstanden worden war und darum auch keine Fehler einräumen konnte. Etwas, dass JBK nun gar nicht gefiel. Denn er sagte selbst:

"Ich wollte wissen, was Eva Herman wirklich denkt. Als ich gemerkt habe, dass sie ihre missverständlichen Äußerungen nicht aufklären kann, habe ich sie freundlich verabschiedet."

Wenn er nur das hätte wissen wollen, hätte er sie auch zu einem Kaffee in die ZDF-Kantine einladen und fragen können. Doch darum ging es nicht, wie die Gästeliste zeigt. Es ging darum, Eva Herman "öffentlich hinzurichten", wie die Welt schreibt, und die Gäste waren das Erschießungskommando. Senta Berger, die Schreinemakers und Mario Barth. Der Talk bestand dann auch eher in persönlichen Angriffen und Kerners wiederholte Versuche, Eva Herman endlich etwas Reue zu entlocken. Nur, dass Frau Herman offenbar nichts zu bereuen hat, von den Gästen und Kerner in die Ecke gedrängt wurde und sich so weitere Fehltritte erlaubten, die wohl zum einen erhofft, zum anderen aber dankbar angenommen wurden.

So sprach sie von einer "gleichgeschalteten Presse", was von Kerner sofort biegierig aufgeschnappt wurde, wie der Köter nach einem Stück Wurst schnappt. Er verwies darauf, dass es sich hierbei wieder um einen NS-Begriff handele. Eva Hermanns Einwand, auch der Spiegel habe diesen Begriff bereits verwendet, wurde ignoriert. Letztlich, vollends in der Ecke und die Deckung längst hängend, beschwerte sie sich darüber, dass jede Erwähnung des Dritten Reichs gefährlich sei. Zuletzt kam der Vergleich mit den Autobahnen, den das Publikum - dankbar, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen - mit Lachen quittierte. Die Schreinemakers klagte über Herzrasen, Kerner "verabschiedete" Eva Herman und somit hatte das ZDF einen kleinen Eklat, ohne moralisch in der Zwickmühle zu sein. Die Süddeutsche spricht gar von einer "Sternstunde" des Fernsehens".

Aber halt - ist das wirklich so? Wenn es Kerners Anliegen war, zu erfahren, wie Eva Herman denkt, dann war seine Neugier in den ersten Minuten befriedigt und man hätte dem Thema eine Wendung geben können. Daran, dass man 50 Minuten auf Eva Herman eingedroschen hat, zeigt die wahren Hintergründe. Man wollte sie vorführen und für alle Zeiten unmöglich machen. Das war imho das einzige Ziel dieser Sendung. Wäre es anders gewesen, hätte man die Auswahl der Gäste sensibler vorgenommen. Hier ist die Hexe, nun treiben wir sie zum Scheiterhaufen. Das war das Motto, das war der Plan und am Ende funktionierte er. Wobei Eva Herman so freundlich war, den Inquisitoren der deutschen Medienlandschaft die Hexenjagd abzunehmen; sie begab sich höchst selbst auf den Scheiterhaufen, kette sich dort an und reichte ihrem Henker das Feuerzeug.

Wie steht es nun mit den Aussagen von Eva Herman, man könne nicht über den Verlauf unserer Geschichte sprechen, ohne in Gefahr zu geraten?

Nun, das ist natürlich falsch. Man kann sehr wohl über das Dritte Reich sprechen. Man kann sagen, dass das alles Scheiße war, Hitler ein Arschloch, die Nazis verrückt - nichts passiert. Man kann sagen, dass er die Autobahnen nur für den Krieg bauen ließ, all die Nachteile aufzählen, die Judenvernichtung und den Krieg - nichts passiert.

Problematisch wird es erst, wenn man über diese Zeit spricht, ohne deutliche Abscheu zu zeigen oder wenn man Begrifflichkeiten benutzt, die auch von den Nazis benutzt wurden. Dann haftet einem schnell der Geruch des Braunen an. Man hat schließlich alles zu verdammen, denn alles kann irgendwie negativ behaftet sein. Das musste kürzlich Meisner erfahren, als er das Wort "entartet" im Zusammenhang mit Kunst benutzte, frei von Nazi-Ideen zwar, sondern im Bezug auf den Glauben, aber er gebrauchte es. Das löste eine Protestwelle aus, denn auch die Nazis hatten dieses Wort benutzt. Selbst der Zentralrat der Juden entblödete sich nicht, dagegen zu wettern. Dabei wurde der Begriff "entartete Kunst" von Max Nordau geprägt, der bereits 1923 starb und zudem Jude und überzeugter Zionist war. Auch er setzte das Wort in einem anderen Zusammenhang als die Nazis ein.

Wir müssen uns also fragen, ob Begrifflichkeiten, die von den Nazis benutzt wurden, für alle Zeiten tabu sind. Rückt jemand direkt in die rechte Ecke, wenn er ein Wort wie "gleichgeschaltete Presse" benutzt? Wobei dieser Eindruck durchaus entstehen kann, denn die Medien sind heiß darauf, jemanden wegen Nazi-Nähe an den Pranger zu stellen und die lieben Journalisten und Reporter überbieten sich in Abscheu-Bekundungen, wo sie nur können. Linke und rechte Organe, von ganz links bis hin zu den eher CDU/ CSU-nahen Blättern überschlagen sich in Schmährufen und lassen nichts unversucht, den Betreffenden verbal zu peitschen.

"Gleichgeschaltet" durch die Politik sind sie nicht, wohl aber durch Kultur und Moral. Und unsere Kultur und Moral besagt im Moment, dass wir alles, ohne Ausnahme, zu verdammen haben, was während der Nazi-Zeit geschah.

Dieser Abschnitt deutscher Geschichte ist gut, um darüber zu spotten und ihn anzuprangern, nicht aber, um darüber sachlich zu sprechen. Es gibt keine sachliche Debatte über diese Zeit, keine emotionslose Bestandsaufnahme, kein "vielleicht gab es durchaus gute Ansätze, die dann ins Schreckliche abwichen".

Nicht durch die Deutschen, die - der kollektiven Schuld unterworfen - entweder in Abscheu erzittern oder Gefahr laufen, selbst als Nazi abgestempelt zu werden.

Es schmerzt vielleicht zu sehr, die Deutschen daran zu erinnern, dass sie es waren, die Hitler an die Macht brachten. Dass Hitler nicht mit Gewalt die Macht an sich riss, im Zuge eines Staatsstreichs etwa, sondern erst einmal Wahlen gewann. Dass es die Parteien waren, die Hitler freie Hand gaben und dass es die Menschen waren, die laut "Ja!" riefen, als Göbbels den totalen Krieg forderte. "Wollt ihr ...", lautete die Frage. Solche Dinge werden heute nicht mehr erwähnt. Es waren die Nazis und es war Hitler ... "Der Verführer", er trägt die Schuld. Nicht die Bürger, die sich nur zu bereitwillig verführen ließen, nicht die Parteien, die das Ermächtigungsgesetz unterschrieben und nicht jene, die jubelten, als der totale Krieg ausgerufen wurde. So lange, bis der totale Krieg zu ihnen kam und das Jubeln plötzlich verstummte, ehe es in Katzenjammer überging.

Mit ihrer eigenen Schuld konfrontiert verbannen wir Deutsche alles aus dieser Zeit, verbieten Symbole bis hin zum Absurden (wenn auch Anti-Symbole vor Gericht landen) und zeigen mit dem Finger auf jeden, der es wagt, Begrifflichkeiten zu benutzen, die auch die Nazis benutzten oder ohne die nötige Abscheu über die fragliche Zeit sprechen. Wir schauen uns pflichtbewusst die Beiträge auf den verschiedenen Sendern zum Thema "Drittes Reich" an, in dem die Deutschen als Schweine, die Alliierten als Helden gefeiert werden und lassen uns unsere eigene Schlechtigkeit einmal im Monat vor Augen führen. Damit auch die nachfolgenden Generationen nie vergessen, dass der Tod ein Meister aus Deutschland ist.

Geht jemand hin und sagt, dass etwas gut war in dieser Zeit, ist er ohnehin ein Nazi und somit der öffentlichen Verdammnis anheim gefallen. Würde Dante seine Göttliche Komödie heute schreiben, der erste Ring der Hölle wären die Medien, der zweite der Boulevardjournalismus.

Wir leben nun im Jahr 2007. Der Krieg ist seit langem vorbei, die Nazis sind wieder auf dem Vormarsch. Wir können sie nicht verbieten, denn Gedankengut kann man nicht per Gesetz verbieten. Wer das nicht glaubt - es gibt da ein Volkslied, das etwas in dieser Art aussagt. Wir können und müssen offen, ohne Emotionen und ohne Scham über unsere Vergangenheit sprechen, denn nur dann sind wir in der Lage, die Nazis dort zu packen, wo man sie einzig packen kann. Kreischen wir jedoch weiterhin auf wie verschreckte Hühner, wenn jemand von entarteter Kunst oder Gleischschaltung spricht, ergehen wir uns in Verboten und betrieben weiterhin die Vergangenheitsbewältigung, wie wir sie seit Jahrzehnten betreiben, leisten wir den Nazis Vorschub. Ob Eva Herman nun nationalsozialistisch denkt oder nicht, maße ich mir nicht an zu entscheiden. In gewisser Weise kann man aber sicher von einer "gleichgeschalteten Presse" sprechen.

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Otto Leupold / ---
Donnerstag, 1. Januar 1970
Ich denke dieser Herr Kerner hat dem zur Objektivität verpflichteten Journalismus einen Bärendienst erwiesen,offensichtlich nur um sich als "Gutmensch"zu profilieren.
benfi / ---
Donnerstag, 1. Januar 1970
Für meinen Teil kann ich GAs Aussagen nur nickend beistimmen! Aber noch ein (größeres) Wort zu Shinwatoshis Kommentar:
Meine beiden Omas, die den ganzen Kriegsmist miterleben mussten, haben mir aber eine schöne Zeit in den Dreizigern bestätigt! Selbst mein Vater und seine älteren Brüder sagen, daß es - bevor der Krieg nach Deutschland kam - schön war! Sie vergleichen das nicht mit heute, daß ist unmöglich! Sie waren lange, lange ahnungslos und wer etwas vermutete hielt in der kleinen 'Dorfgemeinschaft' den Mund. In dieser Zeit hatten die wenigsten a) das Bedürfnis sich mitzuteilen und b) die Möglichkeiten dies zu tun.
Das Leben war damals einfach komplett anders! Für uns nicht wirklich nachvollziehbar. Eine Woche so zu Leben, wie die Menschen in dieser Zeit würde anschließend die Testpersonen reihenweise zum Psychiater drängen. Damals wussten sie nicht mal, wie man das Wort schreibt...
Kunst / ---
Donnerstag, 1. Januar 1970
Url: http://www.dukasi.de
Das Schlimme ist, dass oft darüber gesprochen wird, wie schön die guten alten Zeiten waren. Wirds jedoch öffentlich und steht dazu noch in einem Buch, muss die deutsche Bevölkerung reagieren - schon den lieben Nachbarn wegen.

Kommentar:
Kommentar ga: Nun ja, gut war die Zeit in meinen Augen garantiert nicht. So wenig, wie die Zeit der Weimarer Republik oder die Kaiserzeit "gut" gewesen wäre. Aber dies muss jeder für sich entscheiden.
Reinhard Karger / ---
Donnerstag, 1. Januar 1970
Url: http://www.steamtalks.de/2007/10/13/freispruch-fur-eva-herman/
So schön auch eine einfache Welt ist, aber das war Lynch-TV. Und das schlimmste: Eva Herman, ehrlich, hat in dem relevanten Zitat die Familienpolitik der Nazis nicht verharmlost, sie hat sie eher angeprangert. Und deshalb: <a href="http://www.steamtalks.de/2007/10/13/freispruch-fur-eva-herman/" rel="nofollow">Freispruch für Eva Herman</a>. Es war Lynch-TV verbunden mit einem Fernsehgericht-Justizirrtum.
Shinwatoshi / ---
Donnerstag, 1. Januar 1970
Url: http://www.shinwatoshi.blog.de
Wie du ja weißt, bin ich (angehende) Historikerin und vielleicht ist es auch schon irgendwie rausgeklungen, dass ich kein großer Fan von Eva Herman bin.

Allerdings muss ich gestehen, dass ich diese Dame noch NIE in der rechten Ecke gesehen habe. In meinen Augen ist sie einfach nur dumm. Ganz nebenbei hat sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Und als Journalist sollte man nachforschen können.

Die Werte, die sie angibt, die gut waren (Mutter, Familie, etc) sind Werte, die erst seit der Aufklärung so existieren, aber NIE, ich wiederhole NIE, Wirklichkeit waren. Da kann sich Frau Herman auf den Kopf stellen, die (Katholische) Kirche sowieso und die Rechten auch.
Die Ermordung eines Kindes war bis in die 1930er eine Bagatelle! Kinder waren, besonders von der katholischen Kirche, lange Zeit gar nicht als Menschen betrachtet worden, sondern waren Gebrauchsgegenstände. Hört sich grausam an nicht wahr?
Die Familie, die es sich leisten konnten, hatten Kindermädchen, Hauslehrer und Ammen, die sofort nach der Geburt die Kinder bekamen und sie sogar stilten. Die Familie, die es sich nicht leisten konnten, produzierten Kinder als Arbeitskräfte, die in den ersten Jahren, sollten sie denn überleben, sich selbst überlassen waren, da die Frauen arbeiten mussten.

In Europa erleben wir derzeit die längste Friedensphase der Geschichte, wenn man von den Terroisten absieht. Davor nur Krieg, Nachkriegszeit, Vorkriegszeit, Krieg. Zeit für Kinder Kinder zu sein? Für Mütter Mütter? Nein, besonders die Endphasen des Krieges und die erste Phase der Nachkriegszeit war nix mit Mutter, Familie, Eierkuchen. Da hatten die Frauen genug zu tun die gefallenen Männer zu ersetzen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und dafür zu sorgen das die Kinder überleben.

Frau Herman möchte mir doch bitte mal eine Zeit nennen, wo diese Werte wirklich gelebt wurden! Würde mich interessieren.

Gut, mich würde auch interessieren, was genau denn gut an der Nazizeit war. Habe ich bis jetzt auch nichts gefunden, aber das mag daran liegen, dass ich aus einer Widerstandsfamilie komme.

Allerdings an einer Sache kann ich Frau Herman durchaus beipflichten: Die Sache mit den Wörtern. Da hatte ich letztes Semester auch ein wunderbares Ereignis, was letztendlich mit meinem Rausschmiss aus nem Seminar endete *grins*, was zunächst als Diskiussion, dann zum handfesten Streit begann, da ich mich nicht von 12 Jahren deutscher Geschichte erpressen lasse.
Ich hatte das Wort "Dorfgemeinschaft" benutzt. Und das darf man nicht sagen, denn, wer hats erfunden? Richtig... ;)
Was soll man dazu sagen? Neue Historiker/innen braucht das Land! Hier bin ich! =)