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Rezension: Ich hab die Unschuld kotzen sehen II (Hörbuch)

Abgelegt unter Allgemein
Mittwoch, 6. Juni 2007

Nach dem Erfolg des ersten Teils legt Dirk Bernemann nun nach und präsentiert 18 Kurzgeschichten, die wieder die „Wunden unserer Tage“ aufreißen sollen. Die einzelnen Storys sind zudem teils lose miteinander verbunden und erwecken so den Eindruck einer fortlaufenden Geschichte.

 

Man nehme Sex, garniere ihn mit ein paar deftigen Worten und krassen Ansichten und fertig ist der Ego-Trip. Denn etwas anderes ist dieses Hörbuch nicht. Ein Ego-Trip eines Autors, der die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben scheint und nun seine Erkenntnisse der breiten Zuhörerschaft präsentieren will. Bitte schön nihilistisch und depressiv, ohne Lichtblick und so angelegt, dass alle Klischees, Stereotypen und Vorurteile bedient werden.

In den einzelnen Geschichten schlüpft der Autor in verschiedene Rollen. Mal ist er Priester, mal eine Friseurin und dann wieder ein Neonazi. Dabei gibt er vor, deren Gedanken und Verhaltensmuster zu kennen. In Wahrheit aber gibt er nur die Klischees wider, die ohnehin allerorts zu finden sind. Der Pastor, der es mit seiner Zugehfrau treibt und der Neonazi, der dumm und brutal ist, damit er Kameradschaft findet. Dabei zeichnet er die Leute alle nach dem gleichen Bild. Sie sind desillusioniert und hassen, was sie sind und womit sie gerade konfrontiert werden. Wären die Menschen wirklich so, würde die Selbstmordrate rapide ansteigen.

Der Stil des Autors ist immer gleich. Vulgäre Ausdrücke, kurze Sätze, teils abgehackt. Auch das benutzte Vokabular ist überwiegend stark eingeschränkt. Vielleicht traut Bernemann den Zuhörern nicht zu, ihn sonst zu verstehen. Oder er traut sich nicht zu, auch auf andere Art zu überzeugen als durch plumpe Darstellungen. Nur manchmal blitzt durch, dass der Autor sehr wohl auch andere Worte als die Verwendeten kennt. Doch solche Momente sind selten. Ungleich dankbarer nimmt sie der bis dahin gequälte Zuhörer auf.

Dass Bernemann Deutsch und Englisch mischt, um mit Hilfe von Zitaten aus Songs seine Meinung, seine Aussagen zu unterstreichen, wirkt dabei ebenso seltsam wie eigentlich das gesamte Hörbuch.

Das wirklich störende sind jedoch nicht die verwendeten Worte. Harte Ausdrücke und Fäkalsprache können sehr wohl ansprechend und passend sein, wie zum Beispiel Bret Easton Ellis in „American Psycho“ beweist. Doch dieses Buch hat auch eine Handlung. Es ist gerade durch seine übertriebene Gewaltdarstellung und den Sex satirisch im Kontext zu der beschriebenen, kalten und emotionslosen Zeit der 80er Jahre. Bernemann erreicht diese Klasse nicht. Seine Kurzgeschichten sind lediglich eine Ansammlung bizarrer Darstellungen, die mit der Zeit ermüdend wirken und den Reiz verlieren. Zudem nimmt man ihm den häufigen Rollenwechsel nicht ab. Er gibt vor, sich in der Gedanken- und Gefühlswelt vieler Protagonisten auszukennen, und dies wirkt umso anmaßender, je häufiger der Wechsel stattfindet. Von der Friseurin zum Priester und von ihm zum Neonazi. Das funktioniert nicht. Letztlich wirkt das Buch eben wie ein Ego-Trip. Bernemann verleiht seinem eigenen Nihilismus Ausdruck, in dem er ihn seinen Protagonisten in den Mund legt. Humorlos, abstumpfend, unglaubwürdig. Der Autor reißt nicht die Wunden unserer Tage auf, sondern er ergießt seine geschundene Seele auf den Zuhörer. Vielleicht ist es ja einfacher, solch ein Werk auf den Markt zu bringen, statt sich einer Therapie zu stellen. Billiger ist es auf jeden Fall.

Was den Sprecher angeht, so trifft er mit seinem Ton exakt den Tenor der Geschichten. Krauss ist damit das einzige Highlight dieses Hörbuchs.

 

Fazit: “Ich hab die Unschuld kotzen sehen II“ könnte auch “Ich hab den Rezensenten kotzen sehen“ heißen. Ein Hörbuch, das die Welt nicht braucht. Nur Fäkalsprache und Sex machen noch kein gutes Werk, bediente Klischees und Stereotypen sind nicht innovativ. Den Zynismus und Nihilismus haben andere Autoren bedeutend besser zu Papier gebracht. Höchstens postpubertierende Geradeso-Erwachsene werden an dem Werk Gefallen finden, da sie noch nicht viel kennen und leicht zu beeindrucken sind.

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