Hasenzeit
Hasenzeit
Kaum hat man Weihnachten gut überstanden, naht schon das nächste heilige Fest – und zwar das höchste von allen.
Ostern!
Gerade hat man sich von Gänsebraten, Bowle und Geschenke-Flut erholt, schon erscheinen die Hasen in den Geschäften und pochen auf ihr Recht. Im Schnitt dauert es fünf Wochen, bis die Wachablösung eintrifft; Nikoläuse raus, Hasen, Eier und Enten rein. In allen erdenklichen Farben, Größen und Geschmacksrichtungen. Und natürlich alle hübsch verpackt und so arrangiert, dass sie von den Kindern garantiert erspäht werden.
Schlaue Geschäftsleute sind inzwischen dazu übergegangen, den Bestand so im Laden zu verteilen, dass die genervten Mütter von Anfang bis zum Ende in den Genuss des Geschreis kommen.
Gleich hinter dem Eingang steht der Milka-Stand.
Gegenüber der Fleischtheke (meist in der Mitte des Supermarktes) kommt Lindt und kurz vor der Kasse trifft man auf die Hausmarke.
Welche Sorte die lieben Kleinen also letztendlich bekommen, hängt lediglich von der Geduld der Mütter ab. Denn wie heißt es schon in Werbung: »Früher oder später kriegen wir Sie.«
Aber was soll’s, von irgendwas muss die Süßwarenindustrie ja leben. Und schmecken tut das Zeug wirklich, daran gibt es nichts zu meckern.
Allerdings stellt sich mir da die Frage, wieso zu Ostern Hasen einmarschieren. Meines Wissens gründet dieses Fest doch auf der Auferstehen Jesu, und wo bitte bekam der einen Schokoladenhasen? Beim letzten Abendmahle wurde kein Dessert gereicht, nur Brot gebrochen und Wasser verwandelt. Und als er schließlich am Kreuz hing, gab es Essig per Schwamm. Auch dazwischen wird nichts von Süßwaren berichtet, nur von Dornenkronen und Schlägen.
Aber halt, eigentlich kommt in dieser ganzen Geschichte gar kein Hase vor, weder lebend noch tot noch aus Schokolade, Zucker oder Kuchenteig!
Langsam aber sicher verdichtet sich in mir der Verdacht, dass sich Meister Lampe illegal eingeschlichen hat. Vielleicht, um dem Ende als Braten zu entgehen.
Oder, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Oder aus anderen, nicht näher ersichtlichen Gründen.
Wer weiß schon, was in einem Nagetier vorgeht?
Schließlich ist ja auch nicht ganz verständlich, wieso ein Hase Eier bringt.
Meines Wissens ist das doch der Job des Huhns. Die Kuh gibt Milch, das Schwein Schinken und das liebe Federvieh legt Eier. So jedenfalls steht es in den Lehrbüchern. Auch im Zeitalter der Genforschung dürfte sich daran nichts geändert haben. Und der Osterhase ist beträchtlich älter als diese Wissenschaft.
Also bleibt, nach langer und reiflicher Überlegung, nur ein Schluss: Der Hase ist schizophren, er leidet an einer Persönlichkeitsspaltung. Er glaubt, ein Huhn zu sein und schnappt sich die Eier. In seinen lichten Momenten fühlt er dann Reue und bringt sie, als Osterhase getarnt, zurück.
Tragisch, tragisch.
Es könnte natürlich auch sein, dass er von einem fahrenden Gaukler hypnotisiert wurde. Aber wie dem auch sei, wir haben ihn am Hals und müssen mit ihm leben. Und offenbar fällt es uns nicht schwer, bedenkt man die enormen Umsätze der betreffenden Industrie.
Diese jedoch ist in meinen Augen recht inkonsequent! Denn obwohl Ostern unser höchster Feiertag ist, so rangiert er in der Hitliste doch klar hinter Weihnachten.
Woran liegt das?
Hat der Nikolaus die bessere PR-Abteilung?
Oder ist er ganz einfach nur vertrauenerweckender als ein Nager?
Nein, wahrscheinlich liegt es daran, dass der Hase eben nur Eier und Kleinkram bringt, die Stereoanlage, der PC oder das Nintendo jedoch in das Ressort des Mannes mit den Rentieren fällt.
Aber halt – auch das muss einen Grund haben! Wer in aller Welt kam auf diese Rollenverteilung?
Vielleicht waren es schlicht praktische Erwägungen, die Ol’ Nick die Rolle des Big Spenders zuschrieben. Ein Hase wäre schon bei einem Laptop inklusive Monitor überfordert, ein Ren jedoch kann einen sehr viel schwereren Schlitten ziehen.
Auch eignet sich Unterhaltungselektronik sehr viel besser für kalte Wintertage und kommt daher am 24. Dezember wie gerufen.
Fakt ist jedenfalls, dass der heilige Rauschebart gelebt hat. Ein entscheidender Vorteil dem Langohr gegenüber!
Oh, natürlich leben auch Hasen, wie ich mich kürzlich bei einem Besuch im Schlemmerlokal überzeugen durfte, aber jener besagte Osterhase gehört halt doch ins Reich der Erfindungen.
Nun gut, kommen wir wieder zu den uns gebräuchlichen Gebräuchen.
Dazu zählt, besonders beliebt und immer wieder gern gemacht, das Ostereierverstecken. Mutter, Vater und Großeltern gehen am Vorabend los, und legen die Ostergaben an Orte, die das Kind nach einigen Überlegungen garantiert findet. Schließlich möchte man ja nicht noch Monate später dem Geruch verfaulter Eier begegnen.
Morgens wird der Sprössling dann voller Erwartung aus dem Bett gezerrt, in Sonntagskleider gesteckt und mit einem Korb bewaffnet auf die Suche geschickt. Und sollte er sich, ob des Schlafmangels oder des niedrigen IQ, doch allzu dämlich anstellen und kein Ei finden, so helfen ja immer noch Rufe wie "heiß, heiß, heiß", oder "kalt, kalt, kalt". Es wird von einem besonders schweren Fall berichtet, wobei ein Junge erstere Aussage irgendwie falsch verstand und sich die Hand an der Kaffeemaschine verbrannte.
Aber was soll’s, ein bisschen Verlust gibt’s eben immer.
Nach dem fröhlichen Suchen (bei gutem Wetter findet diese natürlich im Garten statt, schließlich braucht auch die Pharmaindustrie eine Chance!) geht es zum gemütlichen Frühstück. Wer nun aber glaubt, dass dabei ähnlich inspirierende Songs gesungen werden wie an Weihnachten, der irrt. Denn merkwürdigerweise gibt es kein adäquates Liedgut. Und dabei ergeben sich doch so tolle Möglichkeiten. Etwa: Oh Osterhas, Oh Osterhas, wie klein ist doch dein Stummel!
Oder: Es ist ein Lamm entsprungen.
Letzteres wäre ja auch kein Wunder, schließlich möchte das Tier nicht als Delikatesse auf unseren Tellern enden. Denn, geschlemmt wird immer, auch zu Ostern. Und dies meist wenige Stunden nach dem Frühstück; schließlich muss man sich für die Fastenzeit belohnen und der Kuchen wartet um drei!
All die Wochen in der man sich Hunger, Entbehrung und Demut im Fernsehen angesehen hat, dringend kompensiert werden. Am besten mit Lammbraten in Rotweinsoße, artig gespickt mit Speckstreifen und mit entsprechenden Beilagen serviert.
Gemäß der Tradition verzichtet die Mutter darauf, das Kind entsprechend umzuziehen. So nimmt das Schicksal seinen Lauf und die lieben Kleinen fühlen sich sofort an Weihnachten erinnert, erleben ein Déjà-vu. Denn auch am heiligsten Abend tragen Kinder heiligste Kleider und erleben heiligste Not, wenn sie diese auf keinen Fall verkleckern dürfen!
Und damit nicht genug des Schreckens! Denn kaum ist das Mahl überstanden und die Reste im Mülleimer, Kühlschrank oder wer weiß wo verschwunden, naht der Rest der Familie. Nach dem üblichen Begrüßungszeremoniell bekommen die Kids ihre Geschenke, meist Mahlbücher, Socken, Taschentücher und sonstigen Kleinkram, über den sich eigentlich keiner freut. Spätestens, wenn die Oma erneut mit Selbstgehäkeltem erscheint, sinkt die Laune der Nachkommen dem absoluten Nullpunkt entgegen.
Aber, ich muss fair bleiben! Denn ab und zu gibt es auch Ausnahmen. So soll es vorkommen, dass der Hase auf einem Fahrrad angeradelt kommt und dieses am Ende vergisst. Alternativ können es auch Rollschuhe oder ein neuer Sandkasten sein!
In der Regel aber sprechen wir doch von Kleinkram. Hasi ist eben nicht Ol’ Nick und wird es auch nie sein …
Nach der Übergabe besagter Sinnlosigkeiten plätschert der Nachmittag dahin, lediglich unterbrochen von diversen Torten, Kuchen und anderem Gebäck. Die Sahne auf dem Kleid der Tochter bildet hierbei einen reizvollen Kontrast zu den Soßenflecken auf dem Hemd des Sohnes und das Gezeter der Mutter ersetzt das Fehlen österlicher Hymnen, zu deren Absingen man sich um den Osterstrauch versammeln könnte.
Abends sitzen die Erwachsenen im Schein der Osterkerze zusammen, essen Cognaceier, trinken Likör und geben sich seliger Benommenheit hin, in Erinnerungen schwelgend.
Es war mal wieder ein gelungenes Osterfest.
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